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2021
KubaParis
I'm Not In
Location
byvierDate
02.12 –02.01.2021Curator
Laura Dechenaud, Johannes MoellerText
P. J. weiß weder ihren Geburtsort noch das Datum, an dem sie geboren wurde. Sie zog früh von zu Hause aus, im Kindesalter, fast noch bevor die ersten Erinnerungen anfangen sich zu bilden. Der Grund dafür war, dass sie schon früh merkte, wie ein Leben innerhalb der üblichen gesellschaftlichen Normen nicht ihres wäre und sie sich schwor, stetig Widerstand dagegen zu leisten, was die Konsequenz mit sich trug, den Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen.
Fortan lebte P. J. mit einer Gans, ihrem Lieblingstier und vermutlich auch dem Ursprung ihrer Liebe zu Kunst. Wenn sie später in Interviews nach bestimmten Werken ihrer Sammlung gefragt wurde, verglich sie oft die künstlerische Qualität mit der Perfektion einer Gänsefeder.
P. J. ist 1,72 m groß, schlank und hat schulterlanges braunes Haar, welches sie jedoch niemals offen trägt. Sie besitzt nur zwei Anzüge, einen blau-grauen Jil-Sander-Anzug und einen maßgeschneiderten grau-blauen. Sie duscht immer abends, niemals morgens.
Sie ist die Art von Sammlerin, die Messen auf Grund ihres Kommerzes verabscheut. Viel lieber geht sie auf Biennalen oder in Museen. Die einzigen Events, zu denen sie sich hinreißen lässt, sind Modeschauen. Sie sitzt dort gerne in der zweiten Reihe, unbemerkt und gerade. Nicht wegen der Kleider geht sie dort hin, sondern wegen der Schuhe.
Sie selbst besitzt eine sehr überschaubare, funktional ausgerichtete Schuhgarderobe: Sommer und Winter, für Freizeit und formelle Anlässe, hoch, halbhoch, geschlossen, offen, etc. Wenn mal die Sohle schiefgelaufen ist oder das Leder dünngerieben, gibt sie die Schuhe eher beim Schuster zur Reparatur und überlegt es sich zweimal, bevor sie ein Paar wegwirft.
Allerdings sammelt P. J. mindestens genauso viele Schuhe wie Kunstwerke, nicht zum eigenen Gebrauch, sondern aus ästhetischen Gründen.
Was nur wenige Menschen über sie wissen, ist, dass sie ihr Geld in frühen Jahren als junge Schauspielerin machte, womit sie den finanziellen Grundstein für ihre Kunstsammlung legen konnte. Seitdem schaut sie lieber dokumentarische Filme und Serien. Spielfilme seltener (aus Sorge, sie könne sich auf einmal selbst auf der Leinwand entdecken), mehr auf konkrete Empfehlung, bei einem Kinobesuch mit Freunden, zu Filmfesten und dergleichen.
Ihr erstes Kunstwerk bekam sie von einer Freundin. Ein kleines gemaltes Bild einer Wiese, die unendlich scheint. Es war lange Zeit das Lieblingswerk in ihrer Sammlung, weil es wegen ihrer Allergie gegen fast alle Gräser die einzige Möglichkeit war, vor einer Wiese zu stehen und den Ausblick zu genießen. Nach diesem Bild fing sie an, instinktiv zu kaufen, begeistert vor allem von der Kunst sehr junger und unbekannter Künstler:innen.
P. J. lebt auf dem Sprung, sie ist nicht oft zu Hause und verreist viel. Sie liebt Städte, aber wenn sie nach Hause kommt in ihre Wohnung, die gleichzeitig ihre Sammlung ist, macht sie immer dieselbe Runde durch die Räume. Sie startet am Eingang, geht nach links, schlägt einen Bogen, tippt mit dem Finger gegen ihr erstes kleines Bild und weiß: Es hat sich alles gelohnt.
Lucila Pacheco Dehne