Katharina Schilling

Für Immer

Project Info

  • 💙 GROTTO
  • 💚 Leonie Herweg
  • 🖤 Katharina Schilling
  • 💜 Sophia Roxane Rohwetter
  • 💛 Nick Ash

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Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Für Immer, exhibition view, 2025, GROTTO. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Timarete, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Timarete, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Marcia, 2024, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Marcia, 2024, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Ball of the Burning, 2024, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Ball of the Burning, 2024, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
 Katharina Schilling, Arachne, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Arachne, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Anastasia, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Anastasia, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Eirene, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Eirene, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Iaia, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Katharina Schilling, Iaia, 2025, oil on wood, 35 × 15cm. Courtesy the artist and GROTTO, Berlin. Photo: Nick Ash.
Mitternachts am Schreibtisch sitzend, im Versuch über Katharina Schillings Bilder und das Anachrone als Bedingung ihrer Kunstgeschichtlichkeit zu schreiben, zünde ich eine handgegossene Kerze an. (1) Ich kann kein Feuerzeug finden und breche ein Zündholz aus dem Streichholzbriefchen, das Sarah Rapson vor ein paar Jahren für ihre Ausstellung in der Wiener Secession als Künstlerinnenbuch produziert hat. Auf der Rückseite des Kartonheftchens steht geschrieben: „i see that you are less some german painter from the 1970s or even some linguist from the 1960s rather some italian sculptor from the 17th century i have one in mind”, in der Innenseite über der Reibfläche die Adresse Berggasse 19. Ich denke an Richter, Jakobson, Bernini, Freud, an die Geschichte als Geschichte der padri der Moderne. Im Inneren des Deckels bis hinter die Zündholzreihen lese ich John Keats’ Ode to Psyche (1819) über den antiken Mythos von Amor und Psyche. In Sarah Rapsons Streichholzbriefchen verschachteln sich die Zeiten, ist das Zündhölzchen nicht in seiner Zeit. Die brennenden Streichhölzer in Katharinas Diptychon Für Immer (2025) sind auch und doch anders außerhalb ihrer Zeit, ihrer Zeit unähnlich. Realistisch gemalt, weniger in Anlehnung an den Fotorealismus eines german painter from the 1970s als an das Spiel zwischen mikroskopischem Realismus, augentäuschendem Illusionismus und perspektivischer Wahrheit in der niederländischen Stilllebenmalerei – tänzeln sieben von ihnen in einer Art Reigenformation auf dunklem, psychedelisch-kosmischem Grund, auf dem sich rote, gelbe und blaue Pigmentflächen wie Nebelschwaden ziehen oder zu Sternenstaub kondensieren. Die Grundfarben wiederholen sich in den Emissionen der brennenden Streichhölzer. Das Gemälde ist Teil einer Werkserie, in der profane und doch seltsam geweihte, weil rituell inszenierte, oft essbare Objekte – Eier, Erbsen, entflammte Äpfel, Pferdesporen, Nähnadeln – spiral- oder kreisförmig, in parallelen oder triangulären Konstellationen, selten allein, auf batikähnlichem New-Age oder galaktischem Grund zu schweben scheinen. Die Zündhölzer wirken Zeit und Raum enthoben, aber in der Gleichzeitigkeit von Bewegung und Stillstand, im ewigen Augenblick der flüchtigen Flamme, ziehen sie die Betrachter*innen zugleich in die Gegenwärtigkeit des Bild-Geschehens und den Raum der Bildbetrachtung. Das Gemälde, dessen horizontales Format sich beinahe über die gesamte Rückwand des Ausstellungsraumes erstreckt, nimmt die Dimensionen des ihm gegenüberliegenden Schaufensters auf, sodass Fenster und Bild von außen und frontal gesehen einen zentralperspektivischen Raum bilden – die untere Bildkante wird zur Horizontlinie, der Fluchtpunkt liegt beim Reigentanz der Zündhölzer. Die zeitliche Bestimmung „für immer“, die Anrufung einer unbestimmten Ewigkeit, verdichtet sich raum zeitlich in der von Katharina ins Bild gesetzten Vorstellung der Unendlichkeit des Universums, die kunsthistorisch mit der Entdeckung der Zentralperspektive zusammenfällt – mit dem unendlich entfernten, im Unendlichen verschwindenden vanishing point. Der Fluchtpunkt aber kann keine eigentliche Darstellung des Unendlichen leisten, als Signum der Unendlichkeit nur innerhalb des subjektiv Endlichen auf sie verweisen. Sobald ich den Ausstellungsraum betrete, verschwindet auch der Fluchtpunkt. Und das Bild verflacht vollständig, sobald die räumliche Tiefe der perspektivischen Darstellung der Streichhölzer von der rohen Materialität der Pigmentstrukturen, die sich auf der Oberfläche der Leinwand absetzen, zurück auf die zweidimensionale Ebene gezogen wird. Dann endlich wandert der Blick auf ein einzelnes erlöschendes Streichholz im unteren Bereich der linken Bildhälfte, endlich verkehrt sich, wie Sophia Eisenhut vielleicht sagen würde, der phallische Blick der Zentralperspektive in die „jungfräuliche“ Simultandarstellung. (2) Wenn Katharina mit dem Bild- und Ausstellungstitel etwas – eine Blutsschwesternschaft, ein Liebesbündnis, die Malerei nach dem Ende der Malerei – „für immer“ beschwört, dann nicht um eine sich linear entfaltende, zentralperspektivische Entwicklung der Geschichte (der Kunst) in eine immer unwahrscheinlichere und doch nicht endende Zukunft zu projizieren, sondern um den historischen Ort der Gegenwartskunst zu bestimmen und diesen zugleich in Bezug zur Unendlichkeit, zu dem, was außerhalb der Zeit, und vor der Kunst, liegt, zu denken. Sarah Rapsons Streichholzbriefchen, in dessen Kartonknicken sich verschiedene Zeitlichkeiten ineinander falten, erzählt die Geschichte der Gegenwartskunst als eine Art anachrone Miniaturmoderne für die Hosentasche, die sich an der Rezeption der Antike in der Romantik, der Wiederkehr des Barocken in der Moderne entzündet. Dagegen richten Katharinas Bilder den Blick auf die vormoderne Zeit, auf „die Kunst vor der Kunst“, wie ihre Freundin Eva Hegge es während eines Vortrags über das Paradigma des flachen Bildes nach dem Internet, das mit einem Blick aus dem Nirgendwo endgültig mit dem Modell der Zentralperspektive bricht, formuliert. Die Geschichte der Kunst vor der Kunst, die Geschichte vor der Entdeckung der Zentralperspektive und der Erfindung des modernen Subjekts, die letztlich auch eine Geschichte vor der Geschichte ist, führt Katharina in die Miniaturen des Mittelalters. i see you are rather some french writer from the late 14th century i have one in mind. Christine de Pizan – „die Dame in blau mit weißer Haube“, wie Katharina sie mir in einer E-Mail beschreibt – erscheint in einer Illumination in Simultandarstellung aus ihrem Le Livre de la Cité des Dames (1404) links mit drei Frauen an einem Tisch in einem Raum mit Säulen, Rundbögen und kariertem Boden; rechts mit Mörtel in der Hand auf einer Baustelle beim Bau einer halbrunden Mauer in der Stadt der Frauen. Die Perspektive ist aufgeklappt, der Boden schräg gestellt und ohne zentralperspektivische Verkürzung. Das Buch von der Stadt der Frauen ist eine feministische architektonisch-literarische Utopie, deren Bausteine die Leben von Frauen aus mythologischer, biblischer und antiker Geschichte bilden. In einer Serie aus sieben kleinformatigen Bildern setzt Katharina Frauen aus Christine de Pizans Le Livre de la Cité des Dames, Boccacios De mulieribus claris und der Naturalis historia von Plinius dem Älteren – darunter die griechischen Malerinnen Timarete, Marcia, Eirene und Iaia und die mythologische Weberin-turned Spinnengestalt Arachne – vom Boden aus abstrakt ins Bild. Ausschnitte aus symbolisch oder perspektivisch verzerrten Böden mit geometrischen Mustern aus Miniaturen mit Darstellungen von Baumeisterin Christine, Selbstporträtmalerin Marcia oder mittelalterlichen Szenen wie dem Bal des Ardents (Ball der Brennenden), werden als künstlerische Historiographie feministischer (Auto-)Biographik zu Porträts dieser Frauen und als Porträts einer mittelalterlichen Perspektive ohne subjektiven Standpunkt zugleich zu einer Kritik an biographischen Selbst- und Subjekterzählungen. Das Subjekt zerfällt in pixelartige geometrisch-ornamentale Muster, wobei das mittelalterliche vor der Zentralperspektive mit der postdigitalen Gegenwart nach der Zentralperspektive, von der Eva erzählt, zusammenzufallen scheint und sich so, im Modus des Anachronen, zeitgenössische Bildlichkeit und vormoderne Sehstrukturen verbinden. In der an Evas Vortrag anschließenden Fragerunde, davon schreibt Sophia im Beitrag für Katharinas Buch, duellierten sich die Typen „wer besser Bescheid wisse über die Entdeckung der Zentralperspektive in der europäischen Kunstgeschichte. Die Zentralperspektive als Folge der Entdeckung des Subjekts. Wir tauschten Blicke, verschworen, belustigt, doch peinlich betreten. Dass dieses let’s not call it Scheitern der Moderne so glücklich darin münden könnte: ‚Eine ästhetische Praxis, in der die Selbstabschaffung in ihrer Unmöglichkeit auftritt und Form annimmt.‘ (Warum schreibe ich automatisch in der ersten Person.)“ (3) Als ich Katharina vor drei Jahren in ihrem Atelier in Wien, der Stadt, in der wir beide leben, von der Berggasse 19 aus gesehen auf der anderen Seite des Donaukanals, im Dachstuhl eines Eckhauses von Margarete Schütte-Lihotzky (auch eine Architektin der Stadt der Frauen), für ein Interview treffe, beschreibt sie ihre Malweise mit dem Begriff „anti-subjektiv“, der genau das meint, was Sophia in der zitierten Stelle, mit Kerstin Stakemeier, formuliert. Katharinas anti-subjektive malerische Praxis ist eine, in der die Selbstabschaffung in ihrer Unmöglichkeit auftritt und kollektive Form annimmt – in manchen Bildern bildet sich das Ornament in der Differenz der Wiederholung zu einer Gruppe, in anderen rufen Pferdehufen zur politischen Versammlung oder verbinden sich die Falten der Gewänder kopfloser Figuren zur Bewegung der Beginen. In dieser Ausstellung folgt das Kollektive Verbindungen von sieben: Christine, Marcia, Timarete, Eirene, Iaia, Arachne und Anastasia tanzen als sieben Zündhölzer in Reigenformation beim Ball der Brennenden über den gekippten Boden der Geschichte, der als anachrones Bild der Gegenwart an der Wand von GROTTO hängt. 1 „Es gibt so etwas wie Geschichte, sofern Menschen ihrer Zeit nicht ‚ähneln‘, sofern sie mit ‚ihrer‘ Zeit brechen, mit der Zeitlinie, die sie auf ihren Platz verweist, indem sie ihnen abverlangt, ihre Zeit dieser oder jener ‚Beschäftigung‘ zu widmen.“ (Jacques Rancière) In Abgrenzung zum Anachronismus als die falsche Verortung eines Ereignisses im zeitlichen Ablauf, bezeichnet die Anachronie als Bedingung für Geschichte nach Rancière „die Unstimmigkeit einer Handlung, eines Ereignisses, eines Gedankens, eines Subjekts mit dem ihm zugewiesenen Platz auf dem zeitlichen Verlauf”. Vgl. Eva Kernbauer (Hg.), Kunstgeschichtlichkeit. Historizität und Anachronie in der Gegenwartskunst (Paderborn: Wilhelm Fink, 2015). 2 Vgl. Sophia Eisenhut, „Giotto oder: Das Jungfernhäutchen der Simultanperspektive”, in Katharina Schilling: Sand Is Water You Can Walk On (Berlin: Bom Dia Boa Tarde Boa Noite, 2023), S. 8–85. 3 Sophia Eisenhut, „Giotto oder: Das Jungfernhäutchen der Simultanperspektive”, S. 36.
Sophia Roxane Rohwetter

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