Archive
2022
KubaParis
Architektur der Unbeständigkeit
Location
Kunsthaus L6Date
31.03 –28.05.2022Photography
Marc DoradzilloSubheadline
Sascha Brosamer / Lisa Busche / Olga Jakob / Christof JohnText
„Architektur der Unbeständigkeit“
Die Ausstellung, in der wir heute stehen ist bereits die zweite Kollaboration von Christof John, Lisa Busche, Olga Jakob, und Sascha Brosamer und hat mit dem „gif“ von „_delta__t_“ so etwas wie einen digitalen Vorläufer. Diese „gif“-Ausstellung mit dem Titel „hier wo wir sind, musst du nichts tun, um am selben Ort zu bleiben“ lotet bereits einige Parameter dessen aus, um was es den vier Künstler:innen auch in dieser Ausstellung geht:
Zunächst schlägt der titelgebende Satz eine Brücke zwischen dem WIR (den Künstler:innen) und dem DU – den Betrachter:innen. Er überbrückt auch die Distanz und Gleichzeitigkeit zweier Orte, ein sich fern sein und dennoch ein verbunden sein in einer Sache. Und er changiert zwischen Stillstand (dem Bleiben an einem Ort und dem dortigen Sein) und, dass eben doch etwas passiert, nämlich das Video, also ein Bewegtbild und darin der vertonte Wechsel von Kunstwerken der drei bildenden Künstler:innen vor einer Wand. Schließlich setzt das „gif“ ein statisches Sein dem Zustand Bewegung gegenüber.
All das ist auch in dieser Ausstellung, der „Architektur der Unbeständigkeit“ zu finden, in der das sich Einstellen von Unbeständigkeit als das gemeinsame Interessensfeld der vier Künstler:innen deutlich wird. Dabei ist ihnen das geradezu situative, vielleicht sogar situtionistische Handeln der Kunst mit dem Ort wichtig. Die performative Qualität von räumlicher Bespielung wird zur Ursache für Bewegung und damit, für Unbeständigkeit.
Die Werke von Christof John fallen in der Ausstellung durch ihre Farbigkeit sofort auf. Sie strahlen geradezu in die beiden Raumhälften des L6 hinein und imprägnieren ihn. Auf den ersten Blick machen seine Arbeiten einen völlig rationalen und mit Kalkül durchkonstruierten, technoiden Eindruck. Sie fordern Op-Art-ähnlich die optischen Wahrnehmungsmöglichkeiten des menschlichen Auges heraus und scheinen sich dabei – auch durch ihre Tiefe - dem Blick immer ein klein wenig zu entziehen… und schon fordern Sie ein Bewegen des Betrachters, ein Vor- und Zurücktreten ein…ein körperlich gewordenes Sehen…
Erst auf den zweiten Blick entschlüsselt sich die komplexe und vielschichtige Konstruktion von Farbe: Ein mehrfarbiges Muster bildet quasi die „Grundierung“ oder den Hintergrund. Darauf ist eine zweite Schicht aufgezogen, die ihrerseits ebenfalls mit einem mehrfarbigen Muster überzogen ist. Ein drittes Muster – oder eine dritte Struktur – stellt schließlich die Verbindung zwischen beiden Ebenen her; indem Christof mal regelmäßiger, mal unregelmäßiger händisch Elemente aus der zweiten Schicht herausschneidet und ablöst, entsteht ein davor und dahinter, ein desorientierendes Spiel auf drei Ebenen. Die dabei durchaus organische Qualität seiner Arbeiten, die Christof sehr wichtig ist, vollzieht sich vielleicht gerade in diesem bewegten, geradezu psychodelischen Tanz der Farben, dem ich mich als Betrachterin kaum zu entziehen vermag und durch das ich mich herausgefordert fühle, zu reagieren.
Auch Lisas Busches Arbeiten spielen mit optischen Effekten, die sich aus Abwesenheit, bzw. dem davor und dem dahinter, dem Negativ und dem Positiv ihrer selbst aufbauen:
Die Wandarbeiten setzten sich immer wieder aus ähnlichen Grundelementen zusammen – so z.B. der gesprühten Linie, dem abgelösten Klebeband, das übersprüht wurde und in dieser Ausstellung stets gleich große Rechtecke bildet und drittens, dem Körper „Leinwand“. Diese Elemente konstruiert Lisa sorgfältig geplant zueinander, bezieht sie teilweise auch auf das gebaute Umfeld und so ergeben sich immer wieder neue (und ich möchte ergänzen: räumliche) Interaktionen. Geradezu architektonische Varianten.
Diese räumlichen Interaktionen, die hier und jetzt, in dieser Ausstellung präsent sind verweisen darauf, was früher im Entstehungsprozess da war: das Klebeband. Sie verweisen heute aber auch in die Zukunft, auf eine Zeit jenseits und nach der Ausstellung. Dann wird ein Großteil der jeweiligen Arbeiten verloren gegangen sein. Sie werden in der Dokumentation zum Negativ ihrer selbst geworden sein oder tragen – wie im Falle jener Arbeiten, die auch eine Leinwand umfassen – einen Teil ihrer Selbst als Negativ in sich. Es wird der Betrachter:innen bedürfen um zu spekulieren, was sonst noch gewesen sein mag. Es wird Zeug:innen bedürfen, um die räumlichen Konstruktionen wieder aufzurufen.
Lisas Arbeiten stehen so einerseits im Kontext von Serialität, also der durchkonjugierten Interaktion der Elemente mit und zueinander; zugleich erschließt sich in ihrer ephemeren Qualität eine offen gehaltene Serialität im Verhältnis zu Raum und Zeit. Sie bleiben stets Unikate mit einzigartigen und sogar veränderlichen Größenverhältnissen und sind im Duktus immer wieder ganz individuell.
Ein bisschen wie Lisas gesprayte Interventionen durchkreuzt Olga Jakobs dreidimensionaler Körper den Ausstellungsraum selbst und legt sich wie eine horizontale Malerei quer.
Typischerweise arbeitet die Künstlerin mit Stoff aus dem sie riesige, bislang jedoch meist zweidimensionale Strukturen erstellt, die den jeweiligen Ausstellungsraum (den Boden oder die Wand) „bewohnen“. Die Verwendung von Textil, repräsentiert für sie dabei die Qualität des Wohnlichen und Behaglichen und ist damit für eine „Besetzung eines Raumes“ wie prädestiniert.
In der „Architektur der Unbeständigkeit“ ist erstmalig eine Arbeit aus einem Oliven-Erntenetz, das Olga mit schwarzem Seidenpapier raster-artig beklebt hat zu sehen. Aus dem übereinander und nebeneinander der Makro- und Mikrostruktur ergibt sich eine beachtliche, sich gegenseitig festigende Stabilität. Flach auf den Boden ausgelegt entspricht die Arbeit in etwa der Größe einer Raumhälfte von L6. Von hier aus stellt sich die Arbeit auf, wird in der Mitte des Raumes zunächst zu einer von Licht durchschienenen Wand, zu einem Wandbild, und bäumt sich dann kraftvoll zu einem skulpturalen Körper auf, der in seiner körperlichen Präsenz im Raum fast selbst zu Architektur zu werden scheint. Die Arbeit scheint damit sämtliche Gattungen in sich zu vereinen: sie wird zur Zeichnung oder Malerei im Raum, zur Skulptur und Architektur und verwebt sich dabei mit der Funktion des Raumes selbst.
Während Christof, Lisa und Olga allesamt ganz oder teilweise an den Wänden des Ausstellungsraumes präsent sind und sich von hier aus auf den Raum imprägnieren, breitet sich der Sound von Sascha Brosamers 30-minütiger Klangarbeit im ganzen Raum aus. Zugleich ist die Hardware – die Kabel – zur Bodenzeichnung arrangiert.
4 Speaker richten sich nach den Längen und Breiten des Raumes aus. Jeder Speaker lässt jeweils einen Ton eines viertonalen Akkords erklingen. Die Töne rotieren und wandern von Speaker zu Speaker. Dadurch wird der Raum in Bewegung versetzt, der Akkord bewegt sich durch den Raum, da seine einzelnen Töne Richtung und Position wechseln. Und doch, gibt Saschas Arbeit damit omnipräsent den Grundton vor. Auf klanglicher Ebene simuliert Sascha damit das optische Flirren der Arbeiten von Christof; er durchkreuzt den Raum ephemer wie die gesprühte Linien Lisas Konstruktionen und interagiert mit dem in Vibration versetzten, raumgreifenden Körper von Olga.
So ruht allen Arbeiten jeweils ein optisches oder körperliches Moment der Bewegung inne, das sich auf den (architektonischen) Umraum überträgt. Diese (und ich nenne das hier) Bewegungsenergie überträgt sich insgesamt und geradezu als Apell der Erkundung an oder auf die Betrachter:innen. So erfahren sie die Kunst in Bewegung und bewegen damit zugleich den Raum; erfahren ihn und die Kuns aus einer Perspektive der Unbeständigkeit.
In der Ausstellung trifft so die Normativität von gebauter, also körperlich präsenter und organisierender Architektur, die immer hierarchisch besetzt ist und eine bestimmte Nutzung, Durchquerung oder Beschreitung vorgibt, auf die performative Kraft der Intervention. Die performative Kraft und die Bewegung, die von dem Impuls der Kunstwerken von Sascha, Lisa, Olga und Christof ausgeht, wird von den Besucher:innen fortgesetzt.
Viktoria Tiedeke anläßlich der Ausstellung „Architektur der Unbeständigkeit“ Sascha Brosamer, Lisa Busche, Olga Jakob, Christof John, Kunsthaus L6, Freiburg, 2022
Viktoria Tiedeke