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2020
KubaParis
INHABITING basis
Location
basis e.V.Date
05.11 –27.02.2021Curator
Eike WalkenhorstPhotography
Katrin Binner, Copyright: basis e.V.Subheadline
Im Rahmen des Ausstellungsprojektes „INHABITING basis“ beschäftigte sich Lea Letzel in einer performativen Klanginstallation mit Notationen und deren visuellen und auditiven Choreographie im Raum. Ausgangspunkt ist die Auseinandersetzung mit der Feuerwerksnotation des japanischen Chemikers und Feuerwerkers Takeo Shimizu, die sie während eines Stipendiums in Japan entdeckte. Letzels Residenz am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) stand im Zeichen der Erforschung dieser Notation, ihrer Voraussetzungen und Möglichkeiten. Zusammen mit Akiko Ahrendt (Violine) und Florian Zwißler (analoge Synthesizer) hat sie die Feuerwerkspartitur „Hanabi-Fu“ als Performance arrangiert. Für KubaParis sprach sie dazu mit Asta von Mandelsloh.Text
Asta von Mandelsloh (AM): Liebe Lea, schön, dass wir über dieses Format in den Austausch zu deiner Arbeit im Zuge der Artist-Residence am Max-Planck-Institut kommen. Magst du mir zu Anfang sagen, was deine Motivation war bei INHABIT teilzunehmen? Mit welcher Idee bist du in das Programm gestartet?
Lea Letzel (LL): Liebe Asta, vielen Dank, ich freue mich über den Austausch mit dir! Ich habe mich noch während meines Stipendiums am Goethe-Institut Villa Kamogawa in Kyoto auf die Ausschreibung der INHABIT Residency beworben. Meine Hoffnung war, über das von Takeo Shimizu um 1965 herum erfundene Notationssystem in einen grundlegenden Austausch mit den Wissenschaftler*innen am MPIEA zu kommen. Mich interessiert das Konzert als Aufführungsformat, seine performativen Möglichkeiten und Beschränkungen, sowie Fragen zur Autorschaft. Notationssysteme haben mich schon immer interessiert. Auch weil sie als Handlungsanweisungen seit den frühen Avantgardebewegungen die direkte Schnittstelle zur Bildenden Kunst sind. Die Hanabi-Fu Notation, die „Feuerwerksnote“, wie das Notationssystem eigentlich heißt, beruht auf den Zeichen westlicher musikalischer Notation. Takeo Shimizu hat diese durch kleine graphische Anmerkungen ergänzt. Kreise oder kleine Sternchen neben den Notenköpfen machen zum Beispiel die unterschiedlichen Farben unterscheidbar oder bestimmen die Effektart. Die Größe der Feuerwerksbomben wird über die Positionierung der Noten auf den Notenlinien bestimmt. Je höher die Note, desto lauter ihr akustisches Signal. Er wollte die Aufführungen von Feuerwerken planbar, aber auch archivierbar machen und hat bewusst mit der Wesensnähe von Musik und Feuerwerk gespielt. Beide sind flüchtig und im Moment ihres Entstehens schon wieder vergangen. Beides ist zeitbasiert und behandelt Fragen von Rhythmus und Raum. Genau wie Musikschaffende sprechen Pyrotechniker*innen bei der Planung eines Feuerwerks von Komposition. Die Effekte bezeichnen sie als Instrumente. Die Wissenschaftler*innen am MPIEA beschäftigen sich in ihrer Forschung mit Fragen, die mich auch umtreiben. In der Musikabteilung zum Beispiel wird über das Verarbeiten, Erleben und Bewerten von Musik geforscht. Mich hat interessiert wie dort mit einem Notationssystem umgegangen wird, das auf einer Ähnlichkeitsbeziehung von Musik und Feuerwerk beruht. Mir war wichtig ein Projekt vorzuschlagen, bei dem die Wissenschaftler*innen und ich ein ähnliches Maß an Unwissen und Expertise haben - wir also von einer ähnlichen Position aus starten und zusammen mehr über die Notation erfahren können.
AM: Du hast deine Residenz aufgenommen und kurz darauf holte die Pandemie auch Deutschland ein. Was bedeutet es für ein Ausstellungsprojekt, das auf einem Austauschprozess zwischen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen am Institut aufbaut, nicht vor Ort zu sein?
LL: Der Zeitraum war schon ziemlich unglücklich. Ich habe im Februar meine Residenz in Frankfurt angetreten. Von Anfang bis Mitte März, also bis zum ersten Lockdown, war ich aber noch für ein anderes Projekt bei PACT Zollverein in Essen. Letztendlich war ich so nur den kurzen Februar am Institut. In der Zeit versuchte ich mit so vielen Wissenschaftler*innen wie möglich zu sprechen, um ihre Arbeitsweise und Forschungsinteresse zu verstehen und um herauszufinden, wo Anknüpfungspunkte an die Feuerwerksnotation und meiner Arbeit sein könnten.
Als der erste Lockdown kam, war es schwierig diese Erstkontakte zu vertiefen. Zu dem Zeitpunkt waren digitale Treffen noch nicht so alltäglich. Die Hemmschwelle jemanden einfach so zu einem Onlinemeeting einzuladen, war größer. Außerdem musste man ja auch mit einigem anderen klarkommen: von diffusen Ängsten über die Reorganisation des Alltags. Da ich auch die Produktionsarbeit für meine Projekte mache, hatte ich zusätzlich dreimal so viel Arbeit. Andauernd mussten wir Termine verschieben, die dann doch nicht stattfanden.
Ich hatte glücklicherweise im Februar schon einen guten Kontakt zu der Musikwissenschaftlerin Dr. Lara Pearson aufgebaut. Wir interessieren uns für ähnliche Fragestellungen. Sie forscht z.B. über die Beziehung von Musik, Bewegung, Geste und den Körper. Über das Thema habe ich schon 2017 ein Stück gemacht und jetzt am 15. April hat die neue Produktion „MOVEMENT“ Online-Premiere. Im Projekt MOVEMENT, das zwischen Konzert, Performance und Installation oszilliert, bedingen sich die Aufführungselemente gegenseitig und können nicht getrennt voneinander gedacht werden – musikalisches Material, Raum, Klang, Licht, Körperbewegung der Musiker*innen, Bühnenelemente: In fünf Szenen untersucht MOVEMENT unterschiedliche Herangehensweisen an eine Klangproduktion im Aufführungskontext, die eng mit den anderen szenischen Elementen verwoben ist und andersherum. Lara hat mich mit einer ganzen Reihe (musik-)wissenschaftlicher Studien versorgt. Die habe ich dann alle gelesen und versucht zu verstehen. Am Begriff des „cross domain mapping“ haben wir beispielsweise eine interessante Schnittmenge mit der Feuerwerksnotation gefunden. Dabei geht es um die mentale Verräumlichung von bspw. Klängen. Sehr vereinfacht gesagt verortet ein Großteil der Menschen dunkle Klänge „links unten hinten“ und helle Klänge „rechts oben vorne“. Takeo Shimizu geht in der Feuerwerksnotation gegenläufig vor, was mit Sicherheit dem Medium geschuldet ist. Lara schreibt zu dem Thema einen Beitrag, der dann Teil der Publikation sein wird, an der ich gerade arbeite. Sie setzt sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Beziehung von Musik und Feuerwerk zusammen und erscheint bei edition Metzel.
AM: Gab es die Möglichkeit den Wissenschaftler*innen deine Arbeit in der Ausstellung zu zeigen?
LL: Leider nein. Die Ausstellung in der basis wurde Anfang November eröffnet, kurz nach Beginn des Lockdown „Light“, der ja wieder alles kulturelle Leben eingefroren hat. Ich war dem Team der basis und des MPIEA sehr dankbar, dass wir zu dem Zeitpunkt wie alle anderen auch zur Arbeit gehen und die Ausstellung aufbauen konnten. Die Performance haben wir dann nicht für Publikum, sondern nur für die Kamera aufgeführt. Für jemanden wie mich, die vornehmlich in einem Live-Format arbeitet, war das sehr wichtig. Andernfalls würde es die Arbeit ja gar nicht geben. Die Ausstellung lief noch bis Ende Februar, aber ohne Publikum.
AM: Hast du dich vor INHABIT bereits im Austausch mit Wissenschaftler*innen befunden oder bist in wissenschaftliche Diskurse eingetaucht für deine Arbeiten? Wie beschreibst du das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst in deiner eigenen Praxis?
LL: Ich habe in Gießen am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft studiert. Der Studiengang ist Teil einer universitären Ausbildung, die die Theorie und Praxis des Theaters produktiv miteinander zu verschränken versucht. Diese Art zu studieren hat meine Arbeitsweise entscheidend geprägt, vor allem in Bezug auf die intensive Auseinandersetzung mit meinen Themen. Ich arbeite oft mit Spezialist*innen anderer Fachbereiche zusammen. Der produktive Austausch über die eigene Blase hinweg ist mir extrem wichtig und notwendig.
Als Mitglied in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste habe ich mit Anderen das Austauschformat „Forum“ initiiert. Es beruht auf der Grundannahme, dass Kunst und Wissenschaft sich nicht als Dichotomie, also ohne Schnittmengen gegenüberstehen – es gibt ja auch innerhalb der jeweiligen (Forschungs-)Felder große Unterschiede. Dafür tauchen dann strukturelle Ähnlichkeiten an ganz unerwarteten Stellen wieder auf. Das ist oftmals auch ein Problem des Vokabulars. Marie-France Rafael schlug während des Symposiums „Artistic Knowledge and the Sonic, das im Rahmen der Ausstellung in der basis als Online-Event stattfand, vor, in diesem Kontext die Künstler*innen und Wissenschaftler*innen einfach Spezialist*innen zu nennen. Den Vorschlag finde ich richtig super! Für mein Diplom an der Kölner Kunsthochschule für Medien habe ich mich 2015 zur staatlich geprüften Pyrotechnikerin ausbilden lassen und bin jetzt der Sprengstoffverordnung des Grundgesetzes verpflichtet? und damit befähigt zum Einsatz von (bühnen-)pyrotechnischen Effekten. Im Sommer 2020 habe ich noch meine Lizenz zur Großfeuerwerkerin gemacht. Seitdem arbeite ich immer wieder an Projekten, die sich mit der Beziehung von Klang und Feuerwerk beschäftigen. Dieses Verhältnis ist normalerweise von einer strengen Hierarchie geprägt: das Feuerwerk übernimmt dabei eine untergeordnete Rolle und folgt der musikalischen Dramaturgie. Es untermalt die musikalischen Bewegungen und fügt ihnen eine spektakuläre, visuelle Komponente hinzu. Dabei sind die Klänge, die die Feuerwerkseffekte selbst machen, hochinteressant. Dem Knistern der Wasserfälle und Fontänen, dem Trommeln der Blitze und dem Knallen der Raketen liegt dabei eine so eigenständige akustische und zutiefst theatrale Präsenz zugrunde, die die musikalische, choreographische, räumliche und inhaltliche Grundlage meiner Arbeit bildet.
AM: Würdest du deine Ausbildung zur Pyrotechnikerin als eine Art wissenschaftliche Beschäftigung oder wissenschaftliche Vertiefung deiner Arbeit bezeichnen?
LL: Meine Ausbildung zur Pyrotechnikerin war nicht unbedingt eine Vertiefung, sondern erlaubt mir erstmal mit einem Material zu arbeiten, zu dem ich sonst keinen Zugang hätte. Besonders faszinierend bei der intensiven Beschäftigung mit Pyrotechnik sind die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik und die produktive gegenseitige Befruchtung. Beispielsweise geht der Begriff des Laboratoriums auf die Experimentierräume der Feuerwerker zurück und Schwarzpulvereffekte wurden dazu genutzt, Entdeckungen der Wissenschaft nachzuweisen: Schwerkraft wurde zum Beispiel durch die Kunstfertigkeit der Feuerwerker mit wissenschaftlicher Gültigkeit nachgewiesen. Ausdruck dieser engen Zusammenarbeit waren unter anderem auch die vielen Traktate und Schriften, die die Pyrotechniker gleich wissenschaftlichen Abhandlungen veröffentlichten.
AM: Was war neu für dich während der Residenz, was hast dich inspiriert, vielleicht auch überrascht oder nachdenklich gemacht in Bezug auf den Austausch zwischen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen?
LL: Erstmal ist das INHABIT-Programm eine fantastische Gelegenheit und ich finde es bemerkenswert, dass das MPIEA sich uns Künstler*innen öffnet. Ich wünsche mir noch mehr Möglichkeiten dieser Art. Echte Interdisziplinarität ist anstrengend und erfordert von allen Seiten die Bereitschaft zum Dialog. Mein Eindruck ist, dass das die Leute oft denken, für Interdisziplinarität sei es notwendig das Spezialist*innentum aufzugeben. Stattdessen geht es darum Situationen zu finden, die es ermöglichen, dass aus zwei unterschiedlichen Welten etwas Neues entsteht. Etwas das in beiden Kontexten gut funktioniert.
AM: Wie viel Freiheit hast du dir und haben sich Akiko Ahrendt (Geige) und Florian Zwißler (analoge Synthesizer) in der Entwicklung und Ausführung der Performance genommen?
LL: Akiko und Florian mussten erstmal neu lesen lernen. Teilweise arbeitet Takeo Shimizu auch mit den Notensymbolen in Tabellensystemen, um Farbwechsel zu erklären und durch zu deklinieren. Obwohl die Feuerwerksnotation Komponenten wie Zeitparameter und Tonhöhen hat und Takeo Shimizu sogar eine Sequenz nach den reinen Klängen, die ein Feuerwerk macht, aufschrieb, muss man dennoch viele musikalische Parameter hinzufügen und bestimmen, um es spielbar zu machen. Mir ist wichtig, dass die Notation ernst genommen wird, aber bei der Stelle mit den Tabellen zum Beispiel kann man schon etwas freier in der Interpretation werden. Akiko und Florian haben daraus etwas gebaut, das aus starken Wiederholungssequenzen besteht und den loop-artigen Charakter der Notation unterstreicht. Die Frage nach Autor*innenschaft berührt das natürlich auch. Wer ist Autor*in der Musik? Takeo Shimizu, der die Noten aufgeschrieben hat? Oder Akiko und Florian, die sie arrangiert haben und interpretieren? Oder ich, die sie in einen neuen Kontext überführt hat und den beiden Musiker*innen vorsetzte? Ich finde das so wichtig, weil es letztendlich zeigt, dass das Projekt und die Performance ohne einen kollaborativen Zugriff nicht möglich gewesen wäre.
Über das Programm:
Die Ausstellung INHABITING basis ist die erste Zusammenarbeit zwischen basis e.V. und dem Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik. Ausgangspunkt ist das Artist-in-Residence-Programm INHABIT, das 2019 am Max-Planck-Institut in Frankfurt gegründet wurde. In diesem Rahmen arbeiten jährlich drei Gastkünstler*innen aus unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen für drei Monate im Dialog und Austausch mit den Wissenschaftler*innen des Forschungsinstituts. Die gemeinsame Ausstellung bei basis e.V. zeigt die Künstler*innen des ersten Jahrgangs von INHABIT - Lea Letzel, Pedro Oliveira und Alexander Tillegreen - und die Arbeiten, die sie während ihrer Residenzen geschaffen haben. Alle drei künstlerischen Positionen setzen sich in unterschiedlicher Form inhaltlich und konzeptionell mit dem Thema Klang auseinander. Ihre Arbeiten manifestieren unterschiedliche Herangehensweisen an das wissenschaftliche Umfeld und ästhetische Praktiken, die durch die spezifische Begegnung, den Dialog und die Zusammenarbeit während ihres Aufenthalts geprägt sind.
Die Ausstellung, die eigentlich am 6. November 2020 eröffnet werden und bis zum 14. Februar 2021 laufen sollte, konnte aufgrund der aktuellen Covid-19 Maßnahmen nicht öffentlich gezeigt werden.
Kurator des Artist-in-Residence-Programms & der Ausstellung: Eike Walkenhorst