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2022
KubaParis
Wie man Teilchen hörbar macht. Interview von Nelly Gawellek mit Beni Brachtel
Location
SVS Collisions Ausstellung und FestivalDate
18.07 –20.07.2022Text
Nelly Gawellek: Beni, du bist selbst Musiker, Produzent, Komponist und DJ und gemeinsam mit Daniel Hermann-Collini Gründer der SVS Creative Labs, eines Residency-Programms für Soundkunst, das Künstler*innen an eher entlegene Orte in Europa bringt, um dort zu arbeiten und sich zu vernetzen. Ich würde gern von dir wissen, wie es dazu kam. Wann und wie ist die Idee entstanden und welche Ziele verfolgt ihr mit der Residency?
Beni Brachtelt: Ich habe als Student einmal drei Monate darauf verwendet, ein Tonstudio aufzubauen. Nachdem ich fünf Minuten Schlagzeug gespielt hatte, kamen die Nachbarn mit der Polizei... (lacht) Meine Kommilitonen und ich haben daraufhin unsere Sachen gepackt und sind auf eine Selbstversorgerhütte in die Berge gefahren. Der Wunsch, in der Abgeschiedenheit zu arbeiten, abseits von Limitierungen – durch Nachbarn, aber auch die Strukturen des Markts, oder durch sozialen Druck, etwa von Szene-Zugehörigkeit, hat die Aktion zum Dauerbrenner gemacht.
NG: Wo haben diese Residencies in der Vergangenheit stattgefunden? Und wie wurden die Ergebnisse dokumentiert?
BB: Das mit der Dokumentation beziehungsweise der Verwertung ist so eine Sache... Wir haben uns in einem bewussten Schritt ja genau dagegen entschieden und das nicht mitgedacht. Es ging im Kern darum, sich einer Verwertungsmaschinerie zu entziehen. Diese Mechanismen haben wir alle sowieso in unserem Alltag, heute noch sehr viel stärker als 2007, als wir zum ersten Mal mit den Kofferräumen voller Ausrüstung auf der Hütte waren. Als ich 2013 mit Daniel Hermann-Collini begonnen habe, einen Kanal für den großartigen Output aufzubauen, der jedes Jahr entstand und der immer noch besser wurde, entstand das Plattenlabel SVS Records. Auch hier ging es aber weniger um Vermarktung. Denn wir sind nach wie vor überzeugt, dass die Aussicht, wie gut sich eine Platte vielleicht verkaufen wird, nicht über der Vision des*der Künstler*in stehen kann. Unsere Richtlinie ist es, ein Sprachrohr für die Teilnehmer*innen zu sein. Um mit Plattenverkäufen nennenswerte Beträge einzufahren, müsste man sich viel zu sehr auf ausgetretenen Pfaden bewegen, das interessiert uns nicht.
NG: Kannst du ein paar Beispiele nennen, wie die Residencies in der Vergangenheit abgelaufen sind?
BB: 2016 waren wir in Budapest auf Einladung des 4D Sound's Spatial Sound Institute. Die Teilnehmer*innen kamen aus Osaka, Seoul, Los Angeles, New York, Berlin, Wien, München und London angereist und sind dort zum ersten Mal mit Spatial Sound in Berührung gekommen. Es gibt eine sehr schöne Doku über diese Ausgabe: https://vimeo.com/193866674
Zwei Jahre später waren wir in einem verlassenen Kloster aus dem 15. Jahrhundert, eine Stunde südlich von Lissabon: 25 Sound-Enthusiast*innen bei 38 Grad, die im Schatten des Kreuzgangs Live-Sets zum Besten geben, Soundskulpturen oder eigene Instrumente bauen, an Klängen forschen.
Die Idee, dieses Jahr an das Ende dieser einzigartigen Zeit eine Präsentation zu setzen, kam erst mit Corona und den Förderungen, die wir einsetzen dürfen. In diesem Fall wurde die künstlerische Auseinandersetzung von der Präsentationsphase aber bewusst entkoppelt.
NG: Dieses Jahr waren die Künstler*innen am Laboratorio subterraneo de Canfranc in den spanischen Pyrenäen und haben dort mit Physiker*innen zusammengearbeitet, die zur Dunklen Materie forschen. Wie kam es zu dem Thema und dem Ort?
BB: Als Künstler*in kommt man nicht um die Frage herum, wie sinnvoll es ist, Kunst ausschließlich aus sich selbst heraus zu schöpfen. Mit Collisions starten wir ein neues Kapitel und begeben uns in eine konkrete Auseinandersetzung mit Themenkomplexen, die nicht nur aus der Selbstreflexion herausführen soll, sondern potenziell auch eine erweiterte Relevanz mit sich bringt.
Canfranc ist ein spanisch-französischer Grenzort, der auf 1100m in den Pyrenäen liegt. Dort befindet sich Europas zweitgrößter Bahnhof, der 1970 nach einem schweren Zugunglück stillgelegt wurde und erst kürzlich wieder in Betrieb gegangen ist. Die Anlage um das Jugendstil-Bauwerk verfällt zum Teil bereits. Das war es, was uns zunächst angezogen hat. Das Laboratorio Subterraneo de Canfranc ist eines von einer Handvoll Laboren weltweit, die an den entlegensten Orten – in diesem Fall einem alten Eisenbahntunnel 800m tief in einem Bergmassiv und damit von kosmischer Strahlung weitgehend abgeschottet – nach Neutrinos suchen. Die sind sozusagen die „letzten Puzzleteile“ zur Beglaubigung des physikalischen Standardmodells.
NG: Wie sieht das konkret aus, wenn Musiker*innen in einem Labor arbeiten?
BB: Wir haben durch Vorträge und Gespräche mit dem Leiter des Labors Einblicke in die Prozesse bekommen. Darüber hinaus wurden uns auch Forschungsergebnisse, in Form von Datensätzen zur Verfügung gestellt. Gemessen werden etwa Anomalien in bestimmten Frequenzgängen, z.B. in einem Myonen-Detektor. Hier wird visualisiert, wie Teilchen mit einer Lösung kollidieren. Diese Frequenzen lassen sich natürlich auch ins hörbare Spektrum übertragen und da kommen wir wieder ins Spiel.
Letztendlich liefern wir natürlich keine Berichte oder wissenschaftlichen Ergebnisse ab. Daher sollte man vielleicht eher von Inspiration sprechen als von Austausch, vielleicht wie ein kurzer Plausch in einem Grenzgebiet, in dem wir uns buchstäblich befanden.
Die wichtigste Erkenntnis für uns war, dass wir uns in der Kunst einem Thema auf verschiedenen Ebenen stellen müssen, auch politisch und gesellschaftlich. Ein hochkomplexes und spezifisches Feld wie die Teilchenphysik dagegen kann sich nur aus sich selbst heraus beglaubigen. Ein sehr beliebtes Bild dafür ist der kosmische Blick auf die Dinge, auf uns. Ich würde aber behaupten, dass es auch ein anderes "Herauszoomen" gibt: Auf dieser Ebene ist die institutionalisierte Wissenschaft auch nur einer von vielen Bereichen: Kulturgeschichte, Politik, Religion. Es gilt Synapsen zu knüpfen zwischen diesen Feldern, und das blieb auch hier unser Okular.
NG: Was mich daran wirklich brennend interessiert: Wie haben die Wissenschaftler*innen vor Ort reagiert?
BB: Man muss sich das so vorstellen: 25 Künstler*innen, alle im Zentrum des gesellschafts- und kulturpolitischen Diskurses, nisten sich in einem kleinen Dorf in einem Grenzgebiet ein. Sie suchen das Gespräch mit der Wissenschaft, finden dabei aber auch das Gespräch mit den Menschen vor Ort. Neben der Grundlagenphysik waren wir also damit beschäftigt, einen zwischenmenschlichen Common Ground zu finden, sich in einem recht konservativen Ort einen Safe Space einzurichten. Es gab von unserer Seite auch eine gewisse Skepsis gegenüber dem a priori-Ansatz, der in der Physik verfolgt wird, aber wir wollten natürlich nicht an dem Ast sägen, auf dem wir saßen. Und genau da haben wir den Common Ground gefunden: Denn wie die Naturwissenschaft unterliegen auch wir gewissen Regeln, wie Förderrichtlinien. Auch bei uns gibt es Erwartungshaltungen und konkrete Auflagen, die man erfüllen muss. Ich war zwischenzeitlich kurz davor, den Titel der Ausstellung zu ändern, in: „how to embrace uncertainties in projects funded with tax-money“ (lacht).
NG: Von der Beobachtung, dass die Teilchenphysik ein Vokabular mit der Musik teilt (Welle, Frequenz, Rauschen) kamt ihr zu wirklich grundlegenden, eigentlich schon philosophischen Fragen: Kann die Zeitlichkeit in der Musik überwunden werden? Wo siehst du persönlich die Potentiale der Musik oder Sound Art an der Schnittstelle zu anderen Technologien, Wissenschaften oder auch der Gesellschaft im Allgemeinen?
BB: Innerhalb des Spektrums des Klanges lassen sich immer wieder interessante gesellschaftliche Phänomene ausmachen. Zum Beispiel scheinen junge Menschen gerade vor allem schnelle Musik zu hören, vielleicht weil sie zwei Jahre Zwangspause aufholen wollen. Die Kunst, und so auch die Musik und der Sound sind immer ein Spiegel der Gesellschaft. Hält man den Spiegel etwas schräg, kann man Blicke auch von sich selbst auf Andere lenken. Das ist es, wonach es sich zu suchen lohnt, der Knick in der Optik.
Was die philosophischen Fragen betrifft, so die Erkenntnis, gibt es auch nur philosophische Antworten. Und genau darin liegt der Zauber, dem wir uns verschrieben haben. Die Geschichte ist voll von Versuchen, mit der Musik konkrete Narrative zu bedienen. Wenn man davon sprechen kann, dass sie geglückt sind, dann meist auf der emotional-erfahrbaren Ebene, vom "Karneval der Tiere" bis zum Philips Pavillon von Le Corbusier.
NG: Dieses Jahr mündet die Residency zum ersten Mal in eine Veranstaltung. Wie kam es dazu? Worauf freust du dich am meisten?
BB: Eigentlich gab es jedes Mal eine Art Aufführung, nur immer im persönlichen Rahmen. Der Fokus lag auf dem Prozess und weniger dem Produkt. Wie vorhin erwähnt, hat uns Corona nun auf diese neue Bahn gelenkt. Durch das Konzipieren von Förderanträgen kam eine neue Klarheit in die Arbeit. Ein erster Schritt der "Erfahrbarmachung" unserer Creative Labs für ein Publikum war ja bereits die Gründung eines Labels, das mittlerweile über 20 Vinyl-Veröffentlichungen hinter sich hat – viele davon mit Produktionen, die auf den Residencies entstanden sind. Durch die Erweiterung in den Sektor der Bildenden Kunst war schnell klar, dass es in eine Ausstellung münden wird. Das Besondere für die Besucher*innen ist, dass wir mit MONOM / 4DSOUND zusammenarbeiten. Diese Hörerfahrung lässt sich nicht simulieren. Man muss hingehen und es erleben und in diesem Sinne ist es dann eben auch keine reine Dokumentation, sondern es entsteht wieder etwas Neues.
SVS Collisions Ausstellung und Festival:
Ausstellung: 19.-21.7. und 23./24.7.2022
Festival: 19.-21.7.2022
Muffatwerk, München