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Nicl Barbro - Far From Home

hinten: "swing-high"
hinten: "swing-high"
links: "feet the sky"
links: "feet the sky"
"Guten Tag"
"Guten Tag"

Location

Hinterconti, Hamburg

Date

14.10 –16.10.2021

Curator

Alex Hojenski

Photography

Jaewon Kim

Subheadline

featuring Nicola Hartlef & Katie Richardson A presentation by Nicl Barbro at Hinterconti in Hamburg/ Germany. The show was open up to the group show "Weberknechte". performer and choreography: Nicola Hartlef & Katie Richardson concept of performance: Nicl Barbro

Text

Elemente eines Zuhauses verlassen den bewohnten Raum und begeben sich ins Blaue. Kühl und ungewiss löst es die Trennung nach Außen. Zuvor, das vertraute Heim: eingekuschelt in wärmender Gewissheit. Gemeinschaftsformen, Identitäten, Gehaltsklassen und Lebenswandel manifestieren sich in der Wahl der Wohnräume und Einrichtungsgegenstände, die uns umgeben. Jemand wird in sie hinein geboren. Sie altern mit uns und werden schließlich vererbt, verkauft oder zurück gelassen. Ein neues Leben hinterlässt alte Möbel. Ihre Mimik spiegelt, was sie gesehen haben und was sie wirklich wollen. Es gibt Haustüren, die Haltung haben, die grüßen und sprechen. Wenn die Fenster die Augen eines Hauses sind, dann ist die Tür der Mund. Eigenständig und emanzipiert den einstigen Wohnraum verlassen, unterstehen sie nicht mehr den Verhaltensregeln und Erscheinungsformen von Gebrauchsgegenständen. Sie sind ausgezogen und härter geworden. Ihrer Funktion entledigt haben "swing-high" und "feet the sky" Großes vor. Die Unabhängigkeit jenseits des bürgerlichen Familienhauses eröffnet ihnen die Bedeutungsgeschichte ihrer Formensprache über Jahrhunderte hinweg und über die Zukunft hinaus. Die Türrahmen können sich ihre eigene Identität zusammenstellen: Schwingtüren mit breiten Hosenbeinen und minimalistischen Schlappen haben an Halt verloren, um auf eigenen Beinen zu stehen. Statt in einer Wand eingebaut, lehnen sie auf Stelzen balancierend davor. Pause machen, Schwung holen? Ich sehe mich umzingelt von Türen. Oftmals als Kennzeichen möglicher Abzweigungen und neuer Wege, verspricht mir keine dieser Türen Durchlass. Das Weiß der dahinter liegenden Wände ist vom farbigen Licht eingefärbt und nahezu dematerialisiert. Digitales, blaues Flimmern. Neues wagen bringt immer auch Ungewisses, Unheimliches mit sich. Das Hinterconti wird als Zwischenraum inszeniert - die Eingangstüre steht geöffnet, nach unten führt die Treppe als ein offener Durchgang: In Far From Home befindet man sich draußen, vor den Türen und doch im Inneren ihres Reiches. Die hölzernen Fußmatten auf dem Boden markieren den Raum als Eingangsbereich. Sie waren nie weich und wirken stark abgewetzt von kratzenden und stampfenden Schuhen. Harte Matten für energische Tritte. Nur die Umrisse abgelöster Buchstaben sind noch zu erkennen wie ein ausgewaschener Slogan auf einem alten Pullover. Science Fiction kann mit Tradition wie Folklore mit Handwerk. Übergib deine Jacke der mürrischen Garderobe oder behalte sie besser selbst. Die Holzdielen der Treppe knarren. Wie sie es gewohnt sind, gehen Schritte auf und ab. Das Ablaufen eines Territoriums. Die Schritte breiten sich aus und lassen sich in der Mitte des Raumes nieder. Stetiges Klopfen gibt einen Takt vor, der von unten von schwarmartigem Getrappel erwidert wird. Es folgt eine laute, teils hitzige Debatte, ein Gespräch der Sohlen, die ihren Standpunkt auf und neben den Matten wählen, um sich auszutauschen und zwischen Räumen und Rollen zu wechseln. Wieder ist es ein Balanceakt auf eigenen Beinen zu stehen und den richtigen Ton zu treffen. Sie disharmonieren, sind sich einig, vereint im Gleichklang und lösen sich zum Solo. "Far From Home" richtet sich in den Räumen des hintercontis ein und öffnet eine Woche später das gewonnene Terrain für weitere Gäste. "Weberknechte" sind dafür bekannt soziale Wesen zu sein. Statt ihre eigenen Netze zu spinnen, lassen sie sich lieber in vorgefundenen Kammern nieder und sind stets zu Fuß unterwegs. Als Freunde auf Wanderschaft kommt eine Gruppe aus Hamburg, Berlin und Leipzig zusammen, die Nicl Barbro einlädt.

Alex Hojenski