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Hungry Mice & Salty Pepper

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Galerie Clages

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Isabella Fürnkäs’ erste Einzelausstellung in der Galerie Clages erinnert an Rausch und Kontrollverlust. Bereits von außen führt ein Fries aus aneinandergereihten Augen den Blick hin auf vier menschengroße Figuren, die sich nicht nur als physisches Gegenüber präsentieren. Vielmehr bauen sie sich im Raum auf und bedrängen den Besucher geradezu mit ihren gezeichneten Sinnesorganen, die anstelle des Gesichtes wachsen und sich im Raum ausbreiten. Mit ihren übergroßen Zähnen, Ohren und Zungen ziehen sie förmlich die Aufmerksamkeit auf die Ebene der sensuellen Wahrnehmung und scheinen dabei unverschämt laut. Voluminös über die Puppen geworfene Stoffe und Kleidungsstücke stehen in Kontrast zu den flachen Zeichnungen. Liest man sie als einzelne Lagen, erinnern sie an frühere Installationen von Fürnkäs. Hier überlagerte sie collagenartig visuelle Fragmente, wobei sich eine Art Sehnsucht nach Standbildern als Orientierung in der Bilderflut einer zeitlich, räumlich und visuell komplexen Welt aufdrängte. Unter den Kleidungsstücken scannt man zwei Kimonos, die eine biographische Assoziationen mit Fürnkäs’ Kindheit in Japan erlauben, aber auch Raum für ein Gefühl von Ferne und Fremde zulassen. Dieses treibende Moment des Hineingeworfenseins und die Suche nach einem ruhigen Punkt lässt den Blick weiter durch den Raum wandern. An den Wänden des Galerieraums leiten gezeichnete Tropfen den fließenden Blick. Tropfen, die unweigerlich auch Assoziationen mit Tränen hervorrufen, sind ein wiederkehrendes Motiv in Fürnkäs’ Arbeit. Subtil arbeitet sie den Gegensatz von Neutralität des Elements Wasser und seiner natürlichen Eigenschaft der fließenden Bewegung heraus, die in Form von Tränen oder Schweiß solche körperlichen Empfindungen und Emotionen repräsentieren, die sich nicht kontrollieren lassen. So liegt in dieser unaufhaltsamen Bewegung auch etwas Befreiendes – kein Zwischenzustand, nichts Suchendes oder Fragendes. Und es scheint, als ob die überlangen Extremitäten der Figuren auch nach einer solchen Verselbständigung drängen. Denken und bewusstes Artikulieren werden auch im zweiten Raum ausgeschaltet, wo zwei Köpfe eine sehr direkte Art der Körpersprache vorführen. Neben aller Sanftheit, die in den Zeichnungen von Fürnkäs zu finden ist, tritt so eine Kraft der emotionalen Körperlichkeit zutage, bestimmt und sensibel zugleich. Diese zur Geste gewordene Haltung offenbart sich auf den zwanzig Zeichnungen im hinteren Galerieraum. Obgleich die Formen und Kritzeleien von Emotionen und Irrungen erzählen, tragen sie etwas sehr Leichtes und Freies in sich. Am Ende des Rundgangs wartet eine Videoinstallation, in der Fürnkäs auf die wohl reduzierteste, fast archetypischste Art des Formgebens zurückgreift – als “kinetischer Sand” bezeichnetes Material wird zum Träger körpersprachlicher Ausdrucksformen. Ein fast im Sand verschwindender Bildschirm zeigt einen chemischen Prozess, der Assoziationen zu natürlichen Fließbewegungen weckt und so durch Wiederaufgreifen des Elements des Wassers einen Bogen zum ersten Raum schlägt. “Hungry Mice & Salty Pepper” kann auch als Hunger nach Selbstbestimmung gelesen werden. Fürnkäs schlägt dabei einen offensiven Weg ein, hin zur physischen Gestalt, dem Körper, der Form und der Geste. Jedoch richtet sich dieses aktive Gestalten nicht nach bewussten Entscheidungen. Vielmehr sprechen die Arbeiten von einem Prozess von Kontrolle und Gegensätzen, von einem permanenten Verhandeln mit sich selbst und anderen. So fordert die Ausstellung dazu heraus, sich zu positionieren, den Fangarmen zu entkommen und ein ruhiges Fleckchen Boden zu besetzen. Isabella Fürnkäs (*1988 in Tokyo) studiert seit 2011 Freie Kunst bei Andreas Gursky und Keren Cytter an der Kunstakademie Düsseldorf und ist seit 2015 Gaststudentin an der Universität der Künste Berlin bei Hito Steyerl. Zuvor studierte sie Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität zu Köln, an der Zürcher Hochschule der Künste und Freie Kunst der Akademie der Bildenden Künste Wien. In ihrer Arbeit verwendet sie unterschiedlichste Medien und kombiniert diese in Installationen und Performances. Seit 2015 arbeitet sie auch als Performance-Duo mit Lukas von der Gracht. 2017 erhielt sie ein Reisestipendium des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen sowie ein Residenzstipendium des Goethe Instituts. Sie ist Preisträgerin des Förderpreises des Landes NRW 2016 und Stipendiatin des Paris Cité Stipendiums. Ihre Arbeiten waren zuletzt im Nam June Paik Art Center Seoul, im Museum Abteiberg (mit Lukas von der Gracht), im CSA Space Vancouver und im project space der Julia Stoschek Collection Düsseldorf zu sehen.

Julia Haarmann