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Lisas IGPhotography
© Jannis UffSubheadline
Feine, teils instabile Linien, organische Keramik und harter Stahl verweben sich in Lisa Seebachs plastischen Raumzeichnungen. Wer diese betritt, taucht in eine geheimnisvolle und unerklärliche Welt durchdrungen von Imagination und einer eigenen Zeitlichkeit jenseits unserer Realität ein.Text
YS: Du arbeitest mit Zeichnung und Skulptur, dein akademischer Hintergrund liegt allerdings neben Bildhauerei und Installation im Bereich Film und Video. Wie verbindet sich dies in deinen Werken?
LS: Am Anfang habe ich hauptsächlich im Medium Video gearbeitet. Zur Skulptur kam ich dann durch das intensive Ausprobieren und Zerstören von verschiedenen Materialien. Durch das Aufsprengen von Material sind brüchige Linien entstanden. Indem ich diese ausgegossen und das zerstörte Material weggenommen habe, hat sich ein Linienpositiv entwickelt. Über den Umweg dieser skulpturalen Linien bin ich erst zum Zeichnen gekommen. Dass es einen Transformationsprozess zurück in die Skulptur sowohl vom Zeichnen als auch vom Video geben wird, war nicht absehbar. Die Essenz, die ich im Video interessant fand, das Arbeiten mit einer festen Kameraeinstellung, das Bühnenhafte und das Performative sowie die langsame, aus der Zeit gefallene Bewegung, habe ich mit in die Skulptur genommen.
YS: Deine skulpturalen Werke erinnern an Trompe-l'œils: Die Linien im Raum erscheinen zunächst wie Zeichnungen, aber letztlich gehen sie weit darüber hinaus. Was bedeutet die Linie als bildhauerisches Mittel für dich?
LS: Als erstes ist die Linie dazu da, zwei Punkte im Raum miteinander zu verbinden und sich mit dem jeweiligen Raum in Beziehung zu setzen. Dabei gibt es eine enge Verbindung zwischen Bildhauerei und Zeichnung. In den Skulpturen und Installationen gilt mein besonderes Interesse dem fragilen Moment, einem Unsicherheits- oder Kippmoment. Viele verwenden die Zeichnung als ein konstruierendes Element, aber mir geht es nicht um eine funktionale Konstruktion, sondern um eine Antikonstruktion. Denn in unserer Welt ist bereits alles überkonstruiert.
YS: Wenn die Antikonstruktion wesentlich für dich ist, welche Rollen spielen dann die architektonischen Elemente in deinen Werken?
LS: Meine Arbeiten beschäftigen sich mit Raumwahrnehmung und Architektur, aber eigentlich sind es keine architektonischen Konstruktionen, sondern vielmehr ist es eine Soft Architecture: Es handelt sich um Gedankengebäude, quasi eine innere, psychologische, gedankliche Architektur. Mit den Arbeiten verwandelt sich der physisch vorhandene Raum in eine komplexe Zwischenwelt, die zwar teils mit vermeintlich wiedererkennbaren Andeutungen auf eine alltägliche Gegenständlichkeit arbeitet, diese jedoch in eine sehr individuelle Symbolwelt integriert. So entstehen Momente in meinen Werken, die extrem rätselhaft, als nicht dechiffrierbar erscheinen, weil sie meiner persönlichen Logik folgen. Genau diese interessieren mich am meisten. Mir erscheint es widersinnig, komplexe Zusammenhänge und Vagheiten zugunsten einer Vereinfachung für ein schnelles kognitives Verstehen aufzugeben. Wie kann man aus dieser Welt kommen und etwas als unterkomplex dargestellt haben wollen? Welchen Sinn hat es gerade in der Kunst, Vieldeutigkeit und Grenzen von kognitivem Verstehen auszusparen und so zu tun, als ob alles vereinfachbar wäre? Das entspricht nicht meiner Weltwahrnehmung.
YS: Viele Dinge gehen auf diese Weise verloren, wenn sie banalisiert werden, unabhängig davon, ob es sich um einen Versuch handelt, eine Verständnishilfe zu geben.
LS: Das schafft das Denken ab, wenn nur eine Vereinfachung angeboten wird, dann sind keine Reibungspunkte mehr da. Dabei ist das Allerspannendste die Uneindeutigkeit.
YS: Ein wesentliches künstlerisches Mittel in deinen Arbeiten ist die Leere.
LS: Ich arbeite viel mit der Leere, der Anteil von physischem Material im Raum ist meist gering. Mit den Setzungen von Arbeiten rhythmisiere ich den Raum und die gegebene Architektur, und lasse dadurch inhaltliche Bezüge zwischen den Arbeiten entstehen.
YS: Die Leere bietet auch die Möglichkeit den Raum durch die eigene Bewegung und das eigene Verorten zu füllen.
LS: Zunächst einmal sehe ich den Raum mit Skulpturen oder Installationen, ohne eine Person darin – als eine Art Bühne, einen komplexen Zustand, eine psychologische Landschaft. Für mich ist die ideale Situation, wenn Besucher*innen die Möglichkeit haben, alleine durch meine Ausstellung zu gehen. Es ist erst dann möglich, sich wie durch eine verlassene, traumartige und eskapistisch anmutende Landschaft zu bewegen, die einen komplett umschließt und am Ende wieder ausspuckt. Das war auch ein Anlass, warum ich für meine Einzelausstellung When The Stage Turns Dark Tomorrow im Kunstverein Braunschweig 2019 eine spezifische Ausstellungsarchitektur entwickelt habe. Sie hilft diesen Realismus auszublenden, dass man z.B. auf eine Installation und dann wieder durch die Fenster auf einen Platz mit parkenden Autos schaut und Nummernschilder erkennen kann oder ständig das Gefühl hat, sich in einem stattlichen Wohnhaus zu befinden. Durch die mit Gips unten angeschlämmte Membran aus Wellplastik verbanden sich die Ausstellungsräume in Teilen zu einer organischen Form. Die Plastikschicht bildete einen Filter, der die vorhandene Architektur verändert und insbesondere die Aussicht aus den Fenstern surreal verzerrt – wie eine Art Haut, die sich aufteilt in eine Außenmembran und innen: Fleisch, Blut, Organe und Psyche.
YS: Für die Präsentation von Werken erfolgen auch pragmatische Entscheidungen, wie “wo kann ich etwas im Raum anbringen”.
LS: Ich bin absolut unpragmatisch, wenn es um die Entstehung einer neuen Arbeit geht. Fragen nach der technischen Umsetzbarkeit schalte ich zunächst komplett aus und steige in den Arbeitsprozess ein. Wenn Arbeiten ortsspezifisch entstehen, ergibt sich logischerweise eine inhaltliche Verbindung mit dem Raum. Für den Entstehungsprozess ist dabei die spätere Installation untergeordnet, denn ob ich einen Spezialspreizdübel oder eine selbst entwickelte Aufhängung benötigen werde, ist völlig belanglos.
YS: Inwieweit ist die Befreiung von Reglementierung in deinen Werken spürbar?
LS: Ich glaube, man fühlt es, wenn eine Arbeit nicht in Form einer technisch-konstruierenden Zeichnung an einen Ingenieur weitergeleitet und dort ausgeführt wurde. Es ist für meine Arbeiten wichtig, die meisten der Herstellungsschritte selber auszuführen, trotz meiner eigenen handwerklich-technischen Begrenzung. Daraus entstehenden Eigenarten oder Umständlichkeiten in der Ausführung, mit denen ich weiterarbeiten kann. Mir hat niemand das Schweißen beigebracht oder wie man technisch eine Keramik besonders gut aufbaut. Das sind für mich die besonderen Stellen, die „soft spots“: Fehler, Brüche, händische Abdruckspuren, begrenzte Mittel – sie führen letztlich zur individuellen Form und ähneln dabei fragmentarischen Gedanken und persönlichen Welten.
YS: Solche Fehler oder Kippmomente machen es auch für die Betrachter*innen spannend, denn wenn alles perfekt aussieht, wo ist dann meine eigene Angriffsfläche oder wie positioniere ich mich dazu?
LS: Mich interessiert genau diese trennunscharfe Stelle, die Schieflage, das Wackeln zwischen Dystopie und Utopie, denn im Grunde genommen kann alles, was eine Utopie ist schnell in eine Dystopie kippen. In dem Dazwischen zu arbeiten, an dem fragilen Punkt, wo es beides sein und werden kann und doch nichts von beidem ist, ist für mich ein spannender Punkt. Es ziehen mich auch Bilder an, die prä- oder postapokalyptische Vorstellungen durch eine bedrohliche Ruhe und Verlassenheit auslösen, insbesondere im Zwischenzustand der Dämmerung oder der Nacht. Das kann ein verlassener Spielplatz bei Nacht sowie die teilweise sehr industrielle Rauheit von Bushwick sein, wo ich 2017 im Rahmen des New York Stipendiums des Landes Niedersachsens gewohnt habe. Sowohl expressionistische und gesellschaftliche Architekturen wie in den Filmen Blade Runner, Blade Runner 2049 und Metropolis als auch die Bühnenbilder von Ken Adam inspirieren meine Arbeit.
YS: Generell wohnt deinen Arbeiten eine starke Nähe zur Szenographie inne aufgrund der Verwebung von Film, Architektur und Kunst.
LS: Wichtig ist für mich die erstarrte Form der Bewegung. Ich sehe Bewegung vor allem als etwas, das schon stattgefunden hat oder noch stattfinden wird. Meine Installationen sind eher wie eine verlassene Bühne, auf der noch Requisiten zurückgeblieben sind, Körperhaftigkeit trotz physischer Abwesenheit spürbar ist und man erahnen kann, was sich dort ungefähr abgespielt hat. Wie wenn man ein Video anhalten würde und man merkt, es gibt ein Vorher und ein Nachher. Dieser Moment wirkt allerdings völlig aus der Zeit gefallen, weil er in der Skulptur oder Installation für eine unbestimmte Länge angehalten wird. Die Arbeiten existieren gewissermaßen in ihrer eigenen zeitlichen Dimension, einem unendlichen Moment.
YS: Deine Werke beinhalten für mich zwei Aspekte der Zeit: einmal die gerade beschriebene Raum-Zeit-Dimension im Kontext der Bewegung und zum anderen, dass deine Arbeiten sich schwer zeitlich einordnen lassen. Ihnen wohnt ein zeitloses Erscheinungsbild inne.
LS: Der Aspekt der Überzeitlichkeit ist mir sehr wichtig. Mich interessiert das Gegenteil von Realismus.
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Yvonne Scheja