Stille Wasser sind tief
Project Info
- 💚 Tamara Goehringer
- 💚 Marlene A. Schenk
- 💚 Dominik Dresel (Installation Shots), Rainer Goehringer (Performance Still)
- 💚 Kunstverein Friedrichshafen
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Unter dem Titel „HEAVY WATER (floated through her winters and summers)“ präsentiert der Kunstverein Friedrichshafen die erste institutionelle Einzelausstellung der in Frankfurt am Main lebenden Künstlerin Tamara Goehringer. In vier eigens für diesen Rahmen konzipierten Werken knüpft die Künstlerin thematisch an die spezifische Verortung des Kunstvereins am Bodensee und die damit einhergehende Omnipräsenz des Wassers an. Dafür setzt sie ihre tiefgehenden Recherchen zu der Figur der Wasserfrau – den Nixen, Sirenen und Meerjungfrauen – fort, in dem Bestreben, ihre Fluidität und ambivalente Lesart im Kontext unserer Zeit zu deuten.
Gelegen in einer Vierländerregion, umgeben von dem glasklaren Wasser des Bodensees und mit Blick auf das Alpen Panorama, genießt der Kunstverein Friedrichshafen seit seiner Gründung 1983 eine einzigartige Situierung. Auf diese legt das von Marlene A. Schenk für das Jahr 2024 kuratierte Ausstellungsprogramm ein ganz besonderes Augenmerk. In vier Einzelpräsentationen, wobei Goehringers die zweite ist, soll der Ort sowohl als konkrete geographische Bestimmung als auch als gemeinschaftlicher Begegnungsraum, schützendes Refugium und Träumerei untersucht werden.
Rettender Geist oder erotische Gefahr, Befreiungsakteurin oder erlösungsbedürftige Verdammte? Bereits seit geraumer Zeit beschäftigt sich Goehringer mit der Thematik der Wasserfrau, ihrer Hybridität, sagenumwobenen Historie sowie ihrer ambivalenten Lesart. Eine Faszination, die sie durch die Verwendung unterschiedlicher Medien geschickt in den Ausstellungsraum überträgt: So zieht die ortsspezifische, sich über drei Wandflächen erstreckende Malerei „LEUCHTTURM: Llorando se fue or Hunting High and Low“ Besuchende Schritt für Schritt in die Tiefen einer mythologisch aufgeladenen Unterwasserwelt. Die Fabelwesen, die mit schwarzer Acrylfarbe auf die weißen Wände gebracht wurden, orientieren sich dabei an Fisch-Mensch-Hybriden, auf die Goehringer in ihren Recherchen gestoßen ist. Sie greift dabei nicht nur gewisse Charakteristika einzelner mythologischer Figuren auf, sondern erweitert die bereits hybriden Körper zu noch komplexeren Zwischenwesen, die sich in ihrer Fluidität aufzulösen scheinen. Ein nahezu zeitgenössisches Märchen deutet sich hier an: Die meist als verdammtes, seelenloses Wesen kontextualisierte Wasserfrau wird in diesem Fall nicht durch die Liebe eines Mannes erlöst, sondern durch die Liebe zu sich selbst. Sie befreit sich von binären Denkstrukturen, indem sie diese scheinbaren Gegensätze in sich vereint und so die Grenzen verschwimmen lässt. Dieses Potenzial zur Selbstermächtigung und -findung wird durch die großflächige Darstellung der Augen – dem vermeintlichen Fenster zur Seele – als Teil der Wandmalerei noch verstärkt.
Etwas tiefer im Raum platziert, findet sich die aus schwarzem Mesh-Stoff und lilafarbenem Silikon bestehende Skulptur „obesión“. Diese kann als direktes Zitat auf Edvard Eriksens an der Kopenhagener Uferpromenade situierte Bronzeskulptur „Den lille Havfrue“ („Die Kleine Meerjungfrau“) verstanden werden. Der Fokus liegt bei Goehringer hingegen auf der Haut der fiktiven Schwanzflosse. So erzeugt der bis zur Wand gezogenen Mesh-Stoff eine Spannung, die reißfest und instabil zugleich anmutet. Ist es der schmerzliche Versuch, die (fremde) Haut anbehalten oder sie mit aller Kraft abstreifen zu wollen?
Noch bevor sich die eigenen Gedanken auf der Suche nach Antworten verlieren können, locken das Flüstern und Singen der sirenenhaften Stimmen der Soundarbeit „say my name (it’s gonna be lonely)“ zum Betreten der nächsten Ebene. Nur über eine schmale Treppe kann der kleinere, jedoch zum Rest der Ausstellungshalle offene Raum erreicht werden. Dort entfaltet die Vier-Kanal-Installation ihre volle hypnotische Wirkung. Knapp eine Stunde dauert der Rausch in dem in Magenta ausgeleuchteten Raum. Neben künstlich erzeugten Tönen ist auch ein Echo aus 41 Popsongs der letzten Jahrzehnte zu vernehmen. Einzig und allein die Discokugel, die von der Decke hängt und sich im immer gleichen Tempo um ihre eigene Achse dreht, stellt einen Ankerpunkt dar. Je länger die einzelnen Spiegelstücke betrachtet werden, desto eher setzt sich das eigene Spiegelbild zusammen – eine eingehende äußere Betrachtung der inneren Vereinzelung. Das Wasser fungiert bereits seit Jahrhunderten als ein solcher Spiegel, der nicht nur das eigene Selbst, sondern auch die Bilder, Symbole und Geschichten, kurz die Untiefen der Gesellschaft reflektiert.
Im Rahmen der Ausstellungseröffnung zeigte Goehringer erstmals die Performance „DREAMS“, ein ungefähr 20-minütiges Solo, in dem sich Sprache, Tanz und Gesang vereinen. Auszüge aus Popsongs von Dua Lipa wie Billy Ocean treffen hier auf Zitate von Edgar Allen Poe und lassen Goehringer die Worte finden, um einen Traum zu formulieren, den sie durch gezielte Wiederholungen, Betonungen und Gesten spürbar werden lässt: The Sirens, The River, The Witch, The Sea, The Raven, The Water, The Dream.
Tamara Goehringers Ausstellung „HEAVY WATER (floated through her winters and summers)“ ist noch bis zum 23. Juni im Kunstverein Friedrichshafen zu sehen.
Vivien Kämpf