Archive 2020 KubaParis

L'Esprit

Date

18.09 –17.10.2020

Curator

Sophie Buscher, Alke Heykes

Subheadline

Eine Besprechung über die Absolventenausstellung der Hochschule für bildende Künste Städelschule, geschrieben von Leonie Schmiese

Text

Wie ist das ungreifbare Moment des Übergangs oder des Dazwischen darstellbar? L’Esprit heißt die diesjährige Absolvent*innenausstellung der Städelschule, die vom 19. September bis 18. Oktober im Portikus zu sehen ist. Die Arbeiten der 22 internationalen Künstler*innen streifen dieses Moment des Übergangs auf unterschiedliche Art – geistern zwischen der Hochschule und dem Danach, entziehen sich bewusst festen Kategorien oder spielen auf ironische Weise mit ihnen. Die Werke versammeln sich in einer Realität der sozialen Isolation, aus der sie entsprungen sind und auf die sie Bezug nehmen, ohne jedoch einen gewissen Optimismus und Witz – ohne einen gewissen Esprit – zu entbehren. Vom Mezzaningeschoss unterhalb des Giebeldaches lässt Ada Rączka auf Rolle gedruckte Prints bis auf den Boden im Ausstellungsraum hängen. Die Muster sind Ausschnitte von Stoffen im Haushalt, Geschirrhandtücher, Tischdecken, Bettbezüge oder Teppiche. Seriell und auf Rolle gedruckt fragen sie nach dem Ort des Hauses als Ort des Ästhetischen. Teilweise scheinen die Zeichnungen der alltäglichen Textilien vertraut und erwecken Erinnerungen ans Zu-Hause-Sein. Im Portikus zeigen sie sich jedoch in variabler Form; in serieller Reproduktion auf Papier lassen sie sich in ihrer Länge an den Ausstellungsort anpassen. Zu sehen sind sie als Digitaldruck, jedoch existieren sie auch als gescannte Dateien auf dem Computer. Genau zurückverfolgen lässt sich ihr Weg nicht, da die medialen Grenzen der Zeichnungen erheblich erweitert und in den Raum übersetzt wurden. Die finale Papierform schafft es, den oberen und unteren Teil des Portikus miteinander zu verbinden. Aneinandergereiht erinnern die Drucke an die Reihung von Bildern im Film oder an die Form einer erzählten Geschichte, in der sich Ereignisse ohne besondere Höhepunkte abspielen. Einige Abbildungen scheinen sich zu wiederholen, jedoch handelt es sich immer um einen anderen Ausschnitt desselben Textils im Originalmaßstab. Würde man die Papierbahn durchschneiden, wäre es egal, an welcher Stelle. Jeder Ausschnitt bekommt durch seine serielle Übersetzung einen gleichen Wert zugesprochen. Die Skulptur Eye Rolling All The Way Down von Hannah Fitz ist Teil einer Serie von Skulpturen, die momentan in der Ausstellung How I Finally Lost My Heart in der L21 Gallery in Palma zu sehen sind. In der gleichnamigen Kurzgeschichte von Doris Lessing hält die Protagonistin ihr herausgerissenes Herz in der Handfläche – blutig und klebrig liegt es dort und lässt sich nicht abschütteln. Der Körper wird zu etwas Groteskem. Indem das symbolische Herz sich nicht mehr vom physischen unterscheiden lässt, entflieht es bei Lessing jeglichem symbolischen Gewicht. Auch Eye Rolling All The Way Down nutzt Bewegung, um sich einer festen Definition und dem Gewicht von Symboliken zu entziehen, die in Körper und ihre Identitäten hineingelesen werden. Die Skulptur scheint an einem anderen Ort zu existieren: Gravitation, Zeitlichkeit, Stillstand und Bewegung lösen sich in ihr auf. Es bleibt eine Struktur, die soweit reduziert ist, dass sie nur von einzelnen physischen Elementen unterbrochen wird und trotz ihrer Leere lebendig wirkt. Die Reduktion von Farbe, Form und Materialität verweist darauf, dass jede skulpturale Abbildung von Körpern immer auch eine Art Fehlinterpretation ist. Beim Betrachten enttarnen sich die Skulpturen als reduktive Version von Objekten und Körpern. Die im Portikus gezeigte Arbeit stolpert entlang unserer eigenen Wahrnehmung, deutet in Verwischungen und Wiederholung lediglich an. Die drei Arme haben eine rechte Hand, der Torso scheint in Bewegung zu sein, sie verschwimmt und dehnt sich aus. Gerade weil die Skulptur nicht versucht, einen kohärenten Körper darzustellen, wirkt sie lebendig. Wer sein Herz in der eigenen Hand betrachtet, spürt außer dem Gefühl erschrockenen Ekels, wie in Lessings Kurzgeschichte, einen Hohlraum in der Brust zwischen den Rippen. Es ist eine Leere mit Potenzial, die wie eine sich öffnende Tür unendliche Möglichkeiten birgt – metaphorisch und physisch. Die Videoarbeit Jardin J‘adore von Nadia Perlov eröffnet vielschichtige Bezüge zwischen Architekturen und Narrativbildung und fragt nach den Machtstrukturen von Räumen. Wie Wege im künstlich angelegten Garten schlagen sich Gedanken nieder, lenken den Blick nach vorne oder zurück, nach oben oder unten, fließen und falten sich ineinander. Als Referenz dient der Barockgarten, artifiziell angelegt ist er ein Ort menschlicher Kontrolle. Von oben betrachtet erinnert er an ein Insekt oder an Bewegungsnotationen von barockem Ballett – die Kontrolle über Natur spielt ebenso eine wichtige Rolle wie die über den eigenen Körper im Balletttanz. Am Beispiel ihres Heimatlandes Israel fragt die Künstlerin danach, was es heißen kann, wenn sich Macht und Zugehörigkeiten räumlich niederschreiben. Der Blick wandert von zionistischen Bewegungen zur aktuellen politischen Situation und Fragen von nationaler Identität oder der Dekolonialisierung von Israel Palästina. Die komödiantische und plastische Inszenierung in Jardin J‘adore wird zum politischen tool. Als Szenerie der Videoarbeit dient ein künstlich angelegter Garten im Hinterhof der Künstlerin, der an ein Fernsehstudio aus anderer Zeit erinnert. Mit Cellomusik werden die Emotionen der Schauspielenden untermalt und bis ins Lächerliche gesteigert. Architekturen beeinflussen die Räume, in denen wir uns bewegen, machen sie planbar und üben so Kontrolle aus. Nadia Perlov macht aus den starren architektonischen Strukturen Origamis, lässt sie zu faltbaren Bugs werden. Ein Insekt fliegt über den Innenhof und verdeutlicht, dass der Blick von oben eine Struktur offenlegen kann, die sich sonst nicht erschließt. Im Film verschmelzen glitzernde Taschen als Statussymbol mit der Provinzialität des perfekten Hauses – die Schauspielenden werden Teil dieses Strudels aus Macht und Banalitäten. Es handelt sich beim künstlichen Garten im Hinterhof jedoch um einen Ort, der geschaffen wurde, um ihm entfliehen zu können: Auf einem Spaziergang durch das Gallusviertel treffen die Protagonist*innen auf einen benachbarten Gärtner und kommen mit ihm ins Gespräch. Wie aus einem Traum erwachend finden sie sich im lokalen Frankfurter Kontext wieder, in dem die Künstlerin lebt und arbeitet. In einer Zeit, die sich im Alleinsein auf die eigene künstlerische Praxis auswirkt, zeugen die in L’Esprit präsentierten Kunstwerke von einem gewissen Zeitgeist und der Suche nach einem neuen Miteinander. Für diese Suche verlassen sie feste Kategorien, bewegen sich in einem Dazwischen, das sich Zeitlichkeit und Ort teilweise entzieht und doch da ist. Es ein geisterhafter und flüchtiger Ort des Übergangs, aus dem sich Kraft schöpfen lässt.

Leonie Schmiese