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"Die Reisende erzählt von den Einzelheiten, ihren Bedrängnissen und Entdeckungen, ihrer Wanderung über die Wege der Gegend, sie nennt die Kontingenzen und sickert selbst wie die Zeit.“ (1)
Es gibt keine Schachtel, in die das Meer passt
Schaukelnd auf der bewegten Fläche des Meeres, im azurblauen Murmeln und Fauchen der Wellen, hier und dorthin geworfen, lernte ich schon als Kind: wenn dir schwindlig wird, halt deinen Blick fest auf den Horizont! Dein Sehen dort verankert, beruhigt sich die aufgewühlte Gischt. Aus dem Horizont wird die sichere Achse eines Koordinatensystems, Fundament eines Raumes, den wir aufspannen, eines Raumes wie eine blasse Schachtel, die das Meer beherbergt. Der Schwindel verfliegt.
Als geringstes Beispiel steht mein Versuch der Seekrankheit zu entgehen, für ein Denken, das den Raum, wie Flusser es nennt "in eine niedrige Kiste sperrt", eine Kiste "die auf dem Boden sitzt und durch welche die Zeit in Richtung Zukunft durchbläst". (2) Flusser möchte keine Welt der erstarrten Geometrien, durch die die lineare Zeit, die Geschichte, wie ein unaufhörlicher Wind, nach vorne stürmt. Denn in einer solchen Welt, denken sich die Bewohner unabhängig von ihrem Ort, als Beobachter, außerhalb der Wellen.
Sarah Degenhardts Arbeiten beschäftigen sich mit der Frage, wie eine ganz andere Erfahrung von Raum aussehen kann. Eine Erfahrung, die nicht zuerst ein Koordinatensystem, eine Welt-Schachtel, anlegt, um aus deren Raster auf die kleineren Einheiten von Landschaft, Ort und Körpern zu schließen. Ihre Werke sind sich stattdessen im besten Sinne des Schwindels bewusst, der alle Reisenden befällt. Dieses leichte Beben der Horizonte, wenn klare Fixpunkte zu Schwellen des Übergangs werden.
Was als Raumflächen in ihren Videoarbeiten auftaucht, wird verlangsamt, verflüssigt, verschoben, und mit ihnen unsere Körper, die versuchen, sich wiederzufinden. Die Werke fordern uns auf, das unaufhörliche Geräusch der Brandung ernstzunehmen, zu üben, was es heißt, unseren Ort in der Welt von der eigenen Situiertheit aus zu denken, uns gemeinsam als von Strömungen getragen und verworfen zu sehen. Und die feststehenden Orientierungen, wie wir sie dem Raum eingekerbt hatten, als brüchige Momente zu akzeptieren. (3)
So ist es passend, dass die Ausstellung im Titel einen Song von David Bowie zitiert "Always crashing in the same car", einen Song in dem ein traumatisches Ereignis des Sängers nicht nur die Zeit aus ihrer Linearität hebt und in eine unaufhörliche Wiederholung schickt, sondern mit der Zeit auch den Raum zusammenfallen lässt, er schrumpft auf eine Garage in der Bowie weiter mit voller Geschwindigkeit um seine eigene kollabierte Weltkugel kreist. In weniger dramatischer Form, kennen wir vielleicht alle das Gefühl, das uns so auch in Sarah Degenhardts Arbeiten berührt, die Suche nach einer Beziehung, einer Verortung unserer Erlebnisse im Verhältnis zu den anonymen Geographien.
(1) Serres, Michel: Die fünf Sinne, Frankfurt: Suhrkamp 1998, S.319.
(2) Flusser, Vilem: Räume, in: Heidemarie Seblatnig (Hg.): außen räume innen räume. Der Wandel des Raumbegriffs im Zeitalter der elektronischen Medien, Wien: Universitäts Verlag 1991, S. 75-83, hier S. 82.
(3) Situiertheit und situiertes Wissen sind Begriffe, die von Donna Haraway entwickelt wurden. Ihr geht es darum aufzuzeigen, dass das, was wir wissen, fragen und wahrnehmen können, immer von den eigenen Bedingtheiten, Vorurteilen und sozialen Kontexten geprägt ist. Wissen kann nicht transzendent und universell sein, sondern nur in ständiger Revision und gemeinsamem Gespräch erfasst und wieder verworfen werden.
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"The traveller recounts the details, their tribulations and discoveries, of their wanderings over the paths of the region, naming the contingencies and percolating like time itself." (1)
There is no box that the sea fits into
Rocking on the moving surface of the sea, in the azure murmur and hiss of the waves, being tossed here and there, I learned as a child: when you feel dizzy, keep your gaze fixed on the horizon! Anchoring your vision there, the agitated spray calms down. The horizon becomes the secure axis of a coordinate system, the foundation of a space we span, a space like a pale box that houses the sea. The dizziness vanishes.
As the least example, my attempt to escape seasickness stands for a thinking that locks space, as Flusser calls it, "into a low box", a box "that sits on the floor and through which time blows towards the future". Flusser does not want a world of congealed geometries through which linear time, history, rushes forward like an incessant wind. For in such a world, the inhabitants think of themselves as uninvolved observers, independent of their place.
Sarah Degenhardt's work is concerned with the question of what a very different experience of space might look like. An experience that does not first apply a coordinate system, a world box, in order to infer from its grid the smaller units of landscape, place and bodies. Instead, her works are aware, in the best sense, of the vertigo that afflicts every traveller. That slight tremor of horizons when clear fixed points become thresholds of transition.
What appears as a spatial surface in her video works is slowed down, liquefied, shifted, and with them our bodies that try to find themselves again. The works ask us to take seriously the incessant sound of the surf, to practice what it means to think of our place in the world from our own situatedness, to see ourselves collectively as carried and discarded by currents. And to accept the fixed orientations, as we had carved them into the space, as fragile moments.
So it is fitting that the exhibition's title quotes a song by David Bowie, "Always crashing in the same car", a song in which a traumatic event of the singer not only lifts time out of its linearity and sends it into incessant repetition, but also collapses space with time, shrinking it to a garage in which Bowie continues to circle his own collapsed globe at full speed. In a less dramatic form, perhaps we all know the feeling that so touches us in Sarah Degenhardt's work, the search for a relationship, a location of our experiences in relation to the anonymous geographies.
(1) Serres, Michel: The five senses
(2) Flusser, Vilem: Spaces
(3) Situatedness and situated knowledge are concepts developed by Donna Haraway. Her aim is to show that what we know, ask and perceive is always shaped by our own conditionalities, prejudices and social contexts. Knowledge cannot be transcendent and universal, but can only be grasped and discarded in constant revision and shared conversation.
Lukas Picard