Anna Hofmann
Jail in a Jail
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Better sad than sorry.
4-ever stolzieren Love and Peace ĂŒber ihr Din-A4-Blatt. Eine Figur reckt ihren Zeigefinger bereits stolz gen Himmel, auf der anderen Seite lassen gerötete BĂ€ckchen noch etwas mehr ZurĂŒckhaltung erkennen. Die GefĂŒhlsemulsion aus EntzĂŒckung und Fremdscham verklebt sich langsam zu einem KloĂ im Hals. Heaven is not a Halfpipe und die Konstruktion von Perspektiven etwas fĂŒr Pedant:innen. Sicher ist, dass die TĂŒrsteherin der ZeichenblĂ€tter öfter einmal ein Auge zudrĂŒckt. In einer Welt unbearbeiteter weiĂer HintergrĂŒnde tummeln sich allerhand sympathische und unsympathische Gestalten. Eine gewisse Faulheit beim Ausmalen der HintergrĂŒnde darf nicht als Böswilligkeit ausgelegt werden. Ganz im Gegenteil â die groĂen WeiĂrĂ€ume sind kuratorische Einparkhilfen. Auf diesem Wege stellt sie ganz beilĂ€ufig die Frage nach dem, was diese »Kunst« im Ausstellungskontext eigentlich ist.
Nach getaner Arbeit auf T-Shirts, Magazinseiten und neuerdings auch Kaffeetassen, stehen ihre Darsteller:innen gerne in White Cubes herum. Gleich dem Verlust des scharf Sehens nach zwei GlĂ€sern Wein guter QualitĂ€t, in einem grell erleuchteten Ausstellungsraum, bĂŒgelt die starre Brennweite und geringe TiefenschĂ€rfe ihrer losen Airbrushpistole alles glatt und zart. Form und Inhalt greifen ineinander wie der Cola-Mix von Schwip Schwap oder Spezi.
Anna Hofmanns Protagonist:innen wirken stets ein wenig ertappt, wie sie so in ihrer Ă€therischen SphĂ€re lungern. Beliebigkeit und Bindungslosigkeit haben lĂ€ngst ihren BoÂhĂšme-Reiz verloren. SchĂ€men sollen sich - wenn das ĂŒberhaupt noch jemand tut - die Betrachter:innen gefĂ€lligst selbst. Der geplanten Obsoleszenz der eigenen Jugend im SpĂ€tkapitalismus lĂ€sst sich kein Schnippchen schlagen. Jeder Versuch, die eigene PubertĂ€t zu verlĂ€ngern, ist dennoch ein ehrbares RĂŒckzugsgefecht. Ein Recht auf Reparatur der einst uns gemachten Versprechungen, haben wir Feiglinge nicht erkĂ€mpfen können.
Doch geht es bei Anna Hofmann um mehr als die individuelle Trauer einer Generation, um das eigene Erwachsenwerden-mĂŒssen. Treffsicher wird das Trauma des kompletten Zusammenbruchs unserer Optimismusordnung der 1990er Jahre illustriert. Jede:r einzelne von uns ist ein kleiner gescheiterter Kinderstar und fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Wenn, lachen wir mittlerweile selbst am lautesten. Kevin ist nicht mehr allein zu Haus, sondern hat nun eine eigene Familie gegrĂŒndet. Was Macaulay Culkin gerade treibt, ist uns egal geworden. Unser Leben wird zur Chopped and Screwed Version des meistverkauften Albums des Jahres 1995: Tekkno ist cool von den SchlĂŒmpfen.
Schon mit seinen 37 Jahren ist Diddl im Gegensatz zu uns Forever. Sowohl die Ausstellungsmacher:innen als auch die KĂŒnstlerin haben mit der kleinen Maus wortwörtlich die Schulbank gedrĂŒckt und miterlebt wie der Merchandising-Artikel sich aus sich selbst heraus erschaffen kann. âHat Diddl eigentlich noch Abitur gemacht?â höre ich meine Eltern besorgt fragen.
Der Blick in den Ausstellungsraum TheTip bleibt unerwidert, der einzige Halt ist ein Paar himmelwĂ€rts strebender Klauen. Hofmanns Protagonist:innen haben sich nicht einmal mehr die MĂŒhe gemacht zu ihrer Ausstellung Jail in a Jail zu erscheinen. Etwas bedröppelt gar unserer enttĂ€uschten Vorfreude auf neue Charaktere und Konstellationen, blicken wir in eine fast leere Vitrine. Links oben zeigt sich noch eine kleine Rahmung durch herabhĂ€ngende BlĂ€tter, ansonsten dominiert das WeiĂ des Ausstellungsraumes.
Entweder weist das Wimmelbild des Hofmannschen Kosmos unbevölkerte Randbereiche auf - oder wir sollen uns mittlerweile den Rest einfach selber denken. Jail in a Jail ist nicht weniger als eine gelungene Selbstparaphrasierung der eigenen kĂŒnstlerischen Praxis. Die ErzĂ€hlung lĂ€uft unter Nennung der bloĂen Ă€sthetischen Ausgangsbedingungen im Kopf der Betrachter:innen eigenverantwortlich weiter. Mehr noch, wir werden aus dem Publikum auf die Stufen der Tempelruine gezerrt und genötigt, unser eigenes Dramolett aufzufĂŒhren. Ohne in Melancholie abzudriften, verstiegen wir uns am Eröffnungsabend in Diskussionen ĂŒber die gruselige Cuteness der 90er Jahre und dem darin verkapselten Wunsch nach einem Happy End der Menschheitsgeschichte. Wir schmierten uns die PrekaritĂ€tsmarmelade gegenseitig aufâs Brot, und sogar die hausgemachte Sangria hat eigentlich allen geschmeckt. Nicht verstehen können wir jedoch, warum die aktuell 20-JĂ€hrigen eigentlich so aussehen wie BRAVO-Raver aus unserer Kindheit.
Lars Karl Becker