Layla Nabi, Thilo Jenssen

immaculate

Project Info

  • 💙 MARS Frankfurt
  • 💚 team Mars
  • đŸ–€ Layla Nabi, Thilo Jenssen
  • 💜 Louisa Behr
  • 💛 Robert Schittko

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Das titelgebende Wort „immaculate“ lĂ€sst sich mit tadellos, makellos, rein oder perfekt ĂŒbersetzen. Damit bezieht es sich in erster Linie auf den renovierten Raum, der durch die Duo-Ausstellung von Thilo Jenssen und Layla Nabi eingeweiht wird. Auf den zweiten Blick verbergen sich dahinter jedoch etliche rote FĂ€den, die sich wie ein verzweigtes Geflecht durch die Arbeiten der zwei KĂŒnstler:innen spannen. Der finalen Ausstellung gehen gemeinsame Überlegungen von Jenssen und Nabi voraus, wie sich ihre Werke zusammen inszenieren lassen und wo die Überschneidungen in ihrer kĂŒnstlerischen Praxis stattfinden. Ästhetisch offenbart sich den Besucher:innen eine PrĂ€sentation makelloser OberflĂ€chen sowie perfekt gearbeiteter Objekten. Darin zeigt sich eine gewisse Ambivalenz: Scheinen die Arbeiten abweisend und unantastbar zu sein, so sind sie in Wahrheit verletzlich. Die kleinste Unvorsichtigkeit fĂŒhrt zu Kratzern und hinterlĂ€sst AbdrĂŒcke. Die sichtbaren SchweißnĂ€hte in den Jenssens Wandarbeiten wirken beispielsweise besonders grob, die glĂ€nzenden OberflĂ€chen erzĂ€hlen allerdings etwas ganz anderes. Entgegengesetzt zum Raum, der jetzt noch „unbefleckt“ und ohne das Echo vergangener Ausstellungen funktioniert und in welchen sich mit jedem darin stattfindenden Projekt Erinnerungen und Referenzen einschreiben werden, lassen sich Jenssens monochrome Metallarbeiten lesen: Schicht fĂŒr Schicht trĂ€gt er in einem langwierigen Prozess den Lack auf die zusammengefĂŒgten Diptychen auf. Durch das partielle Abschleifen dessen, legt der KĂŒnstler Erinnerungen und Vergangenes – mit anderen Worten eine Topographie der Arbeiten – frei. Inspiriert wurde er unter anderem vom stĂ€dtischen Raum: In vielen U-Bahnhöfen sind Abgrenzungen aus monochromen Blechtafeln zu finden. Meist sind diese anders als Jenssens Arbeiten ganz und gar nicht makellos. Sie sind beschmiert, ungepflegt und schmutzig. Schicht fĂŒr Schicht schreibt sich der öffentliche Raum in sie ein. Eine weitere Werkserie, die Jenssen zeigt, besteht aus pixeligen Fotodrucken auf Leinwand, aus denen Struktur genommen wurde. Abgebildet sind Ausschnitte inszenierter Erste-Hilfe-Griffe aus Anleitungen – sie dienen als Lernmaterial. Oftmals handelt es sich um solche Griffe, die angewendet werden, um Verletzte aus verunfallten Autos zu befreien. Der Vorgang ist mit dem Festhalten sowie Fixieren und dadurch EinschrĂ€nken der Beweglichkeit der zu bergenden Person verbunden. Losgelöst aus diesem Kontext scheinen die Gesten manchmal fast wie zĂ€rtliche Umarmungen. Eine gewisse Ambivalenz manifestiert sich auch hier: Die Griffe dienen zur Stabilisierung, allerdings von höchst verletzlichen Körpern. Sie unterstĂŒtzen, fixieren aber gleichermaßen. Es bildet sich ein Gegensatz zwischen Halt und Kontrolle. Es entsteht ein Bruch zwischen der Abbildung selbst und dem eigentlich Abgebildeten – genauso wie ein Bruch entsteht zwischen realer Architektur und den Replikaten Nabis. Die KĂŒnstlerin geht von realen Objekten innerhalb stĂ€dtischer Infrastruktur aus und versucht diese zu reduzieren: Die Objekte sollen gerade so auf ihre FunktionalitĂ€t verweisen und dabei so generisch wie möglich erscheinen. Sie werden zu einer perfekten Attrappe. Nabis Skulpturen bestehen aus eingefĂ€rbten MDF-Platten, aus denen sie Replikate in OriginalgrĂ¶ĂŸe von Architekturen im öffentlichen Raum nachbaut. Im Falle von „immaculate“ handelt es sich um eine Tankstelle und um ein Rohr, das zum Schutz von dahinter befindlichen ReklameflĂ€chen dient. Nabi möchte die Objekte von ihrer Aufgabe befreien und dementsprechend existieren sie von nun an nicht mehr aufgrund ihrer Nutzbarkeit. Was ist die Mindestanforderung an ein Objekt, sodass es als solches in seiner Funktion erkannt wird? Nabi geht in ihrer kĂŒnstlerischen Praxis der Frage nach, wie sich der öffentliche Raum gestaltet und vor allem, fĂŒr wen er gestaltet wird. Was wird durch architektonische Strukturen beschĂŒtzt, fĂŒr wen ist die Stadt primĂ€r gebaut? Schlussendlich lautet eine mögliche simple Antwort, dass die stĂ€dtische Infrastruktur einer gewissen kapitalistischen FunktionalitĂ€t entspricht – die omniprĂ€sente Tankstelle beispielsweise ist nur fĂŒr eine Personengruppe mit Autos interessant. Autos und effizient ausgebaute Straßensysteme sind noch immer ein Symbol fĂŒr Wohlstand, Erfolg sowie Macht. In Nabis Arbeiten werden die Objekte zu generalisierten Stellvertretern fĂŒr Fragen nach ZugĂ€nglichkeit. Jenssens Fotodrucke und Nabis Skulpturen sind unter anderem in der Frage nach DominanzgefĂŒgen verbunden. Geht es bei Jenssen um Machtstrukturen im zwischenmenschlichen Miteinander sowie Lenkungsstrategien im Sozialraum, beschĂ€ftigt sich Nabi mit Machtstrukturen im öffentlichen Raum und an Transitorten. Verbindend fĂŒr die Praxis der zwei KĂŒnstler:innen ist außerdem das geteilte Interesse an der Gestaltung des stĂ€dtischen Raumes sowie Wahrnehmungen und Beobachtungen dessen. Sie denken ĂŒber die Ex- und Inklusion durch gestalterische Mittel nach. Automatisch treten Gedanken zutage, was im Alltag mit der cleanen und funktionalen Ästhetik konnotiert wird – in einer Stadt wie Frankfurt sind makellose und glĂ€nzende OberflĂ€chen und minimalistisch gestaltete RĂ€ume vor allem im Banken- und Skyscraperviertel prĂ€sent. Werden mit ebenjener Ästhetik vor allem Effizienz und Gewinn sowie Machtstrukturen in der Arbeitswelt verbunden? Bringt uns das wieder zurĂŒck zu Gedanken ĂŒber kapitalistische Infrastruktur innerhalb von StĂ€dten? Ein Aspekt, mit welchem sich die KĂŒnstler:innen bei der Zusammenstellung ihrer Arbeiten beschĂ€ftigt haben, beinhaltet die Frage nach den Codierungen des Wahrgenommenen: Welcher symbolische Raum wird fĂŒr wen aufgemacht, wenn beide Arbeiten zusammenkommen?
Louisa Behr

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