Hannah Sophie Dunkelberg

Dormez-vous

Project Info

  • 💙 DAS GERICHT
  • 💚 Leonie Herweg
  • 🖤 Hannah Sophie Dunkelberg
  • 💜 Olga Hohmann
  • 💛 DAS GERICHT

Share on

Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, exhibition view
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
Hannah Sophie Dunkelberg, Dormez-vous, DAS GERICHT, detail
There is nowhere to go but up Wenn man einen Gang nach oben schaltet, ruckelt es sagt meine Freundin P., als ich ihr erzähle, dass ich in der letzten Zeit so schrecklich erschöpft bin und ich denke spontan an die Luftlöcher, in die ein Flugzeug manchmal fällt, kurz nach dem Start. Immer wieder versucht es, die Wolkendecke zu durchstoßen, immer wieder fällt es dabei ein Stück zurück, auf dem Weg in eine höhere, dünnere Schicht der durchsichtigen Materie. There is nowhere to go but up. (but the road is bumpy) Der einzige Gedanke, der meine Flugangst stillt: Das Wissen darum, dass Luft ein physikalischer Stoff ist, ein Element, ebenso wie Wasser – nicht völlig gleichmäßig, sondern vielgestaltig: An manchen Stellen dicker, an anderen dünner, mal weicher, mal härter, und manchmal eben auch löchrig, so wie ein Körper. Die Luft atmet sich selbst aus und ein, durch ihre Nasenlöcher und Mundhöhlen aus Luft. Too much of nothing. Dormez-vous? Dormez-vous? So heißt es in dem bekannten Kinderlied über eine Schlafmütze, die die Frühmesse verpasst. Eine bleierne Fatigue hat sich über den kleinen Jacques gelegt, er will und kann nicht aufstehen. Vielleicht ist der kleine Schläfer ja so erschöpft, weil es für ihn gerade einen Gang höher geht und er sich auf dem Weg nach oben in der weichen Kuhle eines Luftlochs verkrochen hat, um sich kurz auszuruhen. It’s lonely on top. Ding, Ding, Dong wecken ihn aggressiv die Kirchenglocken auf, langsam krabbelt er aus seiner transparenten Höhle und klettert eine Stufe weiter, bis er auf eine neue, weiche Wolken-Empore stößt und nicht widerstehen kann, sich noch einmal einen Moment lang hinzulegen, nur noch fünf Minuten! Traum und Wirklichkeit verschränken sich in der Wahrnehmung des müden Taumlers auf dem Weg high, high up. Wenn das Weckergeräusch einen nicht mehr weckt, muss man ein neues einstellen: zum Beispiel »Cosmic« oder »Crystals«, »Night Owl« oder »Radiate«, »Slow Rise«, »Stargaze«, »Twinkle«, »Uplift«, »By the Seaside«, »Illuminate« oder »Classic«. Das Rauschen der Planeten klingt fast wie das Rauschen des Meeres. I don’t believe in outer space. Eine Kirchenglocke schwingt immer etwas schneller als die andere – Ding ≠ Dong. Wie ein ungleiches Paar, das, in der Differenz, immer im Gespräch bleibt, eine unendliche Konversation, der Faden reißt nie ab. Konservierte Konversation. Immer wieder sehe ich dasselbe Liebespaar, auf unterschiedlichen Parties, Eröffnungen oder Veranstaltungen – sie stehen nebeneinander und unterhalten sich angeregt, ausschließlich miteinander, als wären sie sich gerade zum ersten Mal begegnet. In friedlicher Distanz und aufrichtigem Interesse analysieren sie gemeinsam, was sie umgibt – und gehen dann zusammen nach Hause, als wäre es das erste Mal. Neulich will ich einer Frau ein Kompliment für ihre wunderschöne Samt-Schleife im Haar machen – sie erschrickt sich fast zu Tode, ich stehe hinter ihr. Eine Schleife sieht man immer nur von der Rückseite des Kopfes aus, sie ist nur für die anderen schön, nie für einen selbst, ein bisschen so wie das verschlafene Gesicht des kleinen Jacques. Ein müdes Kind ist mindestens dreimal so schwer wie ein waches – und dreimal so schön. Schau wie engelsgleich es ist, wenn es schläft sagen die Eltern, denn sie wissen um die teuflische Qualität ihres kleinen Monsters, im Wachzustand. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Und wenn Gott nicht will? Wie viel Beine hat ein Pferd? lese ich im Poesiealbum meiner Mutter aus den Siebzigerjahren, eine Freundin schreibt ihr damals in akribischer Schreibschrift: Ich sag es dir! Sechs! Vorne zwei, hinten zwei, und an jeder Seite zwei. Und dann vier Eselsohren an den Rändern des vergilbten Papiers: In jeder / der Ecken / soll Liebe / drin stecken. Die Freundschaftsbekundungen in Poesiealben haben immer einen aggressiven Beigeschmack – sie sind Floskeln, nicht nur, weil sie sich reimen. Man glaubt, in ihnen antizipieren zu können, dass die Freundschaft keine besonders lange Halbwertszeit haben wird. In Freuds Traumdeutung, ich erinnere mich nur sehr dunkel, taucht immer wieder der Junge auf, der jede Nacht alpträumt, von einem Pferd in den linken Arm gebissen zu werden. Was würde wohl das beißende Pferd erzählen, läge es auf Doktor Freuds Couch? Vielleicht hat es Angst, von einem kleinen Jungen namens Jacques in eins seiner sechs Beine gebissen zu werden? Auf der karierten Couch hinterlässt es leichte Schweißflecken, es war den ganzen Weg zu Doktor Freud gerannt, wo es sich dann, erschöpft, hingelegt hatte, es war ein Rennpferd. Stewball was a race horse and I wish he were mine. He never drank water, he always drank wine. His bridle was silver, his main it was gold. And the worth of his saddle has never been told. Ein Biss ist fast immer eine Liebesbekundung – als Kind biss mich meine Mutter einmal aus Liebe so sehr in den Arm, dass es anfing zu bluten. Ihr fehlte die Distanz, die ich an dem Liebespaar beobachte, die sich seit Jahren jeden Abend so ernsthaft unterhalten (und dann miteinander nach Hause gehen) als wäre es das erste Mal. Ich habe dich zum Fressen gern – eine wirkliche Bedrohung. Die Biss-Spur bleibt als Narbe (der ungezügelten) Liebe zurück, sie wird ein Relief – ein Abdruck, von dem man wiederum auch einen Negativ-Abdruck nehmen kann – eine endlose Fortsetzung, die in die Zukunft reflektiert. Ich selbst werde, so berichtet man es mir im Nachhinein, mit dreieinhalb Jahren von meinem besten Kindergartenfreund getrennt, weil ich nicht aufhören kann, ihn zu beißen. Er hat am ganzen Körper grüne und blaue Spuren meiner eigenen ungezügelten Liebe, so habe ich es ja von der Mutter gelernt. Ich will dich bis aufs Skelett ablecken hat mal ein Liebhaber zu mir gesagt und ich habe mich, blitzlichtartig, an den verlorenen Kindergartenfreund erinnert, mit dem ich nie wieder allein in einem Raum sein durfte - es kam mir wie ein Alptraum vor. Als ich Judy Chicagos »Letztes Abendmahl« zum ersten Mal in real life sehe, ist es höchster Sommer in New York und ich bin in erster Linie erleichtert über den abgedunkelten Raum, der gut klimatisiert ist – der Schweiß trocknet langsam auf meiner Stirn und ich komme mir tatsächlich vor wie in einer Kirche. Judy Chicagos Arbeit erleichtert mich, in diesem Moment, und auch wenn sie das wohl ursprünglich nicht sollte, werde ich sie nie vergessen, genau deshalb. Wenn es einen Gang nach oben geht, wird man schläfrig, bleierne Fatigue markiert die Entwicklung, eine Bewegung außerhalb. Dann zurück hinaus in die Agnes Martin’sche Rasterstruktur der Stadt – die AC’s, Klimaanlagen, brummen wie gigantische Insekten, die an den Fassaden kleben und tropfen wie schwitzende, tropische Pflanzen. Vorbeirasen die Autos, die einem, im Vergleich zur Höhe der Häuser, fast wie Miniaturen vorkommen. Kleine Autos, Sammelstücke – im Hobbykeller wird der Familienvater nie erwachsen, es ist sein ganz privates, weiches Luftloch, in dem er seine Schlafmütze tragen darf. Im Gegensatz zu den New Yorker Häuserschluchten wird auf dem dunklen, Schweizer Zauberberg die Luft dünn, man hat kurz einen Moment Höhenangst, dann genießt man die Schläfrigkeit am reich gedeckten Picknicktisch, eine Madame stolziert wie eine Katze auf und ab und zwei Lungenkranke verplaudern sich über Philosophie, distanziert und angeregt, wie das Liebespaar, das seit Jahren so aussieht, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt. Ein Flugzeug verfehlt die Bergspitze knapp und hinterlässt einen weißen Kondensstreifen/ Konsensstreifen, die lungenkranke Katzenfrau schüttet Konsensmilch/Kondensmilch in ihren Filterkaffee. Ich stelle fest: Wenn ich glücklich bin, unten auf der Erde, ist die Flugangst besonders groß. Dann versuche ich, durch Gebete und Rituale, das Flugzeug spirituell ein bisschen mitzusteuern, ich ziehe beim Start die Armlehne nach oben, um dem kleinen Metallobjekt zu helfen, die Wolkendecke zu durchstoßen: Nowhere to go but up singt Mary Poppins (but the road remains bumpy) füge ich ihr innerlich hinzu. Die Augen schließen und schlummern, die Verantwortung abgeben, das traue ich mich im Flugzeug nur, wenn ich es, unten, nicht kann. Schlaflosigkeit ist ein Zeichen für Stagnation, für ein innerliches Sich-Im-Kreis-Drehen, ein Sich-Die-Haare-Raufen. Oben schlafen, unten wachen – oder andersherum. Wenn die Dinge außerhalb in Bewegung sind, gähne ich wie der kleine Jacques, der noch nicht aufstehen will, der den Wecker auf Snooze schaltet und immer wieder denkt: noch fünf Minuten! bis es zu spät ist für die Frühmesse. Und Mary Poppins singt: Life’s a balloon That tumbles or rises Depending on what is inside Fill it with hope And playful surprises And oh, deary ducks Then you’re in for a ride Vielleicht kann man sanft der Erschöpfung nachgeben, das Leben in die Hand der Pilot:in legen und wissen: Wenn es ruckelt, dann heißt das, dass es einen Gang nach oben geht. And I’m leaving on a jetplane I don’t know when I’ll be back again. Oh babe, I hate to go. Man blinzelt kurz in die Erschütterung hinein und lehnt sich dann, seelenruhig, wieder in den Flugzeugsitz zurück. Ding, Ding, Dong macht der Wecker und ich drücke auf Snooze. Und Mary Poppins singt: Look inside the balloon And if you hear a tune There’s no where to go but up Choose the secret we know Before life makes us grow There’s nowhere to go but up Hannah Sophie Dunkelberg (*1987) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte an der HFBK in Hamburg und in der Klasse von Manfred Pernice an der Universität der Künste Berlin (UdK). Dunkelberg hatte u.a. Einzelausstellungen im Kunstraum Potsdam, Potsdam (2021); bei bad posture, Lausanne (2023); der Gunia Nowik Gallery, Warschau (2022); Efremidis, Berlin (2022); Ruttkwoski;68, Paris (2022); auf der LISTE Art Fair, Basel (2021) und Paris+ par Art Basel, Paris (2022). Ihre Arbeiten wurden außerdem in der Boros Foundation im Berghain, dem Haus am Lützowplatz, der Julia Stoschek Collection, dem Museum der Fotografie, Berlin; dem Museum der bildenden Künste, Leipzig; dem Kunstverein Arnsberg und dem Kunstverein Kärnten gezeigt.
Olga Hohmann

More KUBAPARIS