
Emma Kling, Lorenz Kunath, Simon Nagy
Aftersun & Afterwit
Project Info
- đ Parallel Vienna
- đ€ Emma Kling, Lorenz Kunath, Simon Nagy
- đ Simon Nagy
- đ (c) Lorenz Kunath, (c) eSeL.at - Joanna Pianka
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Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) eSeL.at - Joanna Pianka
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Lorenz Kunath /Pyrocumulonimbus/ - 4, 2023 Ăl und Aquarell auf Papier 36 x 22cm

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) Lorenz Kunath

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) Lorenz Kunath

Emma Kling, 42 °C, 2023 Ăl auf Kirschholz 37 x 24 x 5cm

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) eSeL.at - Joanna Pianka

Emma Kling, It will peel off, 2023, Ăl auf Baumwolle 160 x 110cm

Emma Kling, Lorenz Kunath, Treppe & Plateu, 2022, Kirschholz, Fichte, Baumwolle, 155 x 175 x 80cm (c) Lorenz Kunath

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) Lorenz Kunath

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) Lorenz Kunath

Emma Kling, After the fire, 2023, Ăl auf Linen, 60x130cm

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) eSeL.at - Joanna Pianka

Lorenz Kunath /Pyrocumulonimbus/ - 3, 2023 Ăl und Aquarell auf Papier 22 x 36 cm

Aftersun & Afterwit, installation view, 2023 (c) Lorenz Kunath

Emma Kling, Vakablak , 2023 Ăl auf Leinwand 160 x 110 cm

Emma Kling, Extreme ultraviolette Strahlung, 2023 Ăl auf Ahornplatte 20 x 30 x 3 cm
Afterwit
1
Du musst in das GemĂ€lde springen, um seine Welt zu betreten. Hast du noch zu wenige Sterne im GepĂ€ck, prallst du von der Bild-OberflĂ€che ab. Sobald du aber genug der goldenen Racker gesammelt hast, nimmt dich die Leinwand dankbar auf, verschluckt dich wie einen in einen Wackelpudding geworfenen Tacker und du bist drĂŒben.
2
Die kompakten Sonnenbrand-GemĂ€lde erschaffen gar nicht erst die Illusion, durch ihre Ălfarben-OberflĂ€che hindurch und in eine andere Welt jenseits der Wand ĂŒbergehen zu können. Im Gegensatz zur PermeablitĂ€t der Bilder im Nintendo-Spiel Super Mario 64 lokalisieren sie ihr Jenseits nicht hinter ihren Körpern, sondern tragen es bereits in sich. Ein Steppdeckenmuster verschmilzt mit den auf den kleinen Vollholzrahmen eingefangenen Körperabschnitten, wodurch die geröteten Hautstellen externe Falten, interne Grenzen und qusasigeometrische Strukturen erlangen. Sie laden ein zum Entlangspazieren, zur horizontalen Bewegung innerhalb der BildflĂ€che, und strecken dieserart den intuitiven Wunsch, sich irgendwo hinein fallen zu lassen, entlang der LĂ€ngsachse aus.
3
Die Bilder verweigern sich der Tiefendimension auĂerdem mittels ihrer FĂŒĂe, mit denen sie von der Wand wegstreben. Eines der GemĂ€lde hat vier, ein zweites sechs und ein drittes sogar zehn FĂŒĂe. Sie fĂŒhren eine Distanz ein zwischen dem Körper, den sie tragen, und dem, an dem sie sich abstĂŒtzen. Schatten werden sichtbar, Fugen und ĂbergĂ€nge entstehen. WĂ€ren die HolzfĂŒĂe die Kante eines Gehsteigs, dann wĂ€ren sie nicht die Art, ĂŒber die man gedankenverloren stolpert, sondern die, auf die man einen beherzten Schritt machen muss, bei dem man den Sound âOhâ oder das Wort âErklimmenâ im Ohr hat.
4
Am FuĂ der Potemkinschen Treppe in Odessa stehend, erscheint Erklimmen als ein ganz und gar aussichtsloses Unterfangen. Die Treppe, die Innenstadt mit Hafen verbindet, besteht aus 192 Stufen, die regelmĂ€Ăig von breiten Plateaus unterbrochen werden. Weil die Stufen so gebaut sind, dass die unteren deutlich lĂ€nger sind als die oberen, entsteht eine optische TĂ€uschung: Der Blick von unten nach oben lĂ€sst das massive Bauwerk wie eine unendliche, in den Himmel hinauffĂŒhrende Treppe aussehen. Andersherum hingegen, also von oben nach unten geblickt, verschwinden die einzelnen Stufen zugunsten der Plateaus. Sie wirken, als wĂ€ren sie immer gleich breit aus, und man gewinnt den Eindruck, man befinde sich man am Kopf einer Rutsche, die bis zum Meer hinunterfĂŒhrt.
5
Die Treppe, die in der Mitte dieses Raumes steht, hat einen Bauch aus sieben Stufen und ein Plateau als Kopf. Im Gegensatz zu ihrer Kollegin in Odessa ist sie keine optische TĂ€uschung, sondern weist im Gegenteil alle externe Bildlichkeit von sich und ist nur noch Material. Das Vollholz, aus dem die Stufen geschnitten sind, ist dasselbe wie das der Bilderrahmen, und das Leinen, das sie umspannt, verschwistert sich mit dem Körper der groĂformatigen Malereien, die an den WĂ€nden hĂ€ngen. Jede ihrer Stufen markiert das Siebtel eines Weges zwischen Hier und Dort, zwischen regulĂ€rem Boden und der gleichermaĂen emanzipierten wie exponierten Plattform ĂŒber den Köpfen aller anderen.
6
Auf einer Schrittmaschine lĂ€sst sich die Aktion des Treppensteigens simulieren, wĂ€hrend man doch nur auf der Stelle tritt. In Rachel Cusks Roman Outline steigt ein Mann im Laufe eines Jahres kilometerweise Stufen, ohne sich vom Fleck zu bewegen, immer mit einem aufgeschlagenen Buch vor den Augen, das auf dem Lesepult an der Front der Maschine liegt â wie die gute alte Karotte, die vor den Augen eines schnaubenden Esels baumelt. Climbing that staircase was the work he had to do to separate himself from the place from which he had come. Dass es nicht wirklich bergauf geht, ist ihm egal, denn die Bewegung, die er anstrebt, sucht nicht nach Höhe, sondern die (oder das) Weite.
7
Auf Distanz gehen, den Blick schĂ€rfen, sich selbst aus der Gleichung streichen, um sie sauber lösen zu können: Mit der Entfernung von dem Ort, an dem man sich selbst auszumachen glaubt, geht oft die Vorstellung von Erkenntnisgewinn einher. Ihr, die uns als Erbe der AufklĂ€rung geblieben ist, nĂ€hern sich die fragilen Papierarbeiten, die zwischen den Stehern platziert sind, skeptisch an. Sie zeigen verwundete Landschaften von oben, von auĂen und von weit weg. Die auf Distanz gehaltenen WaldbrĂ€nde jagen Angst ein, und der Wunsch, sich in gröĂtmöglicher Ferne von ihnen aufzuhalten, geht Hand in Hand mit dem Wissen darum, dass sie davon auch nicht weggehen oder weniger werden.
Plateau
âAre there some kind of reverse platform shoesâšThat make you go into the ground moreâšMake you reach a lower level?â
(Dry Cleaning, New Long Leg)
7
Ab jetzt Abstieg. Wir haben uns die Bilder angeschaut, haben die Moves gemacht, die wir gelernt haben (Kopf geneigt, HĂ€nde hinter dem RĂŒcken verschrĂ€nkt, die Augen zusammengekniffen), und nun mĂŒssen wir wieder runter. Nicht die Bewegung zur Kunst hin, auf sie zu, in sie hinein, wird auf einmal zum aktiven Prozess, sondern die willentliche Entfernung von ihr.
6
Blicke aus Entfernungen: Google Maps, das NASA-Auge, der God trick. Dem von ihr produzierten Schein, wir könnten ĂŒber uns selbst stehen, am unendlichen Ende der Potemkinschen Treppe, und das ĂŒberblicken, was da unten liegt, widersprechen sowohl die Papierarbeiten als auch die LeinwandgemĂ€lde in diesem Raum. Sie tun das vor allem in ihrem Zusammenfallen: dort nĂ€mlich, wo die aus nĂ€chster NĂ€he beobachteten Baumrinden so aussehen wie von FlĂŒssen durchzogene Landschaften, und wo die aus Vogelperspektive gemalten BergrĂŒcken ununterscheidbar werden von den Strukturen menschlicher und nichtmenschlicher KörperoberflĂ€chen unter einem Mikroskop.
5
Im Französischen gibt es den Begriff âlâesprit de lâescalierâ, der den Pariser Salons aus der Zeit der AufklĂ€rung entstammt. In Red Pill beschreibt Hari Kunzru diesen Treppengeist so: Der Philosoph hat soeben die Party verlassen und ist schon fast drauĂen auf der StraĂe angekommen. Genau da fĂ€llt ihm die perfekte Entgegnung fĂŒr das vorhin stattgefundene GesprĂ€ch statt â âle mot justeâ. Mit jeder Faser seines Körpers zieht es ihn wieder hinein, zurĂŒck in die hitzige Diskussion, um die Wörter auszuspucken, die ihm nachtrĂ€glich eingeschossen sind, um das Argument seines Gegners zu widerlegen und den gebĂŒhrenden Ruhm einzustreichen. Aber es ist zu spĂ€t. Das deutsche Wort âTreppenwitzâ fĂ€ngt die frustrierende Dimension dieses Bilds nicht ein. In seiner SynonymitĂ€t zur Nullphrase von der Ironie der Geschichte hockt es schmollend auf der Partytreppe, aber selbst da mag ihm die kluge These nicht einschieĂen.
4
Die Gehrichtungen auf einer Treppe sind, in der Tradition des unironisch-historischen Denkens in Stufen, mit ganz klaren Bewertungen aufgeladen. Treppe rauf heiĂt Fortschritt, Stufen runter bedeutet RĂŒckfall in die Barbarei. Arcade Fire bebildern ihren Song Rebellion mit Ausschnitten aus Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin von 1925, dem quasi-offiziellen Film ĂŒber die Russische Revolution. Auf der Treppe in Odessa gefilmt, dreht er sich um die niedergeschlagene Revolution aus dem Jahr 1905 und illustriert ihr Scheitern mit niedergestreckten Menschen und Kinderwagen, die die unendliche Treppe hinabrasseln. Die erfolgreiche Oktoberrevolution zwölf Jahre spĂ€ter, so die sowjetische ErzĂ€hlung, war im Gegensatz zur Rebellion von 1905 erfolgreich, weil zu dem Zeitpunkt die Gesellschaft endlich auf der richtigen Stufe der Geschichte stand.
3
Im Gegensatz zu solchen teleologisch-theatralen Geschichtsbildern kokettiert die freistehende Treppe nicht mit den MĂ€rchen von Fortschritt oder notwendig zu nehmenden Stufen. Sie unterstĂŒtzt vielmehr die sie umgebenden Malereien dabei, die uns so vertraute VertikalitĂ€t im Denken zugunsten horizontaler Bewegungen im Raum aufzulösen. Rauf und runter heiĂt in den Bildern hier und zwischen ihnen so viel wie nach vorne oder nach hinten, nach rechts oder nach links: Jedes Fortbewegen von einem Ding ist ein Zubewegen aufs andere.
2
Eines der allerletzten Level in Super Mario 64 kannst du nicht durch ein GemĂ€lde, sondern nur ĂŒber eine Treppe erreichen. Wenn du noch nicht genĂŒgend Sterne hast, dann kannst du sie zwar betreten, kannst sie hinauflaufen, aber sie endet nie. Eine Stufe nach der anderen taucht vor dir auf, und egal, wie viele Sekunden, Minuten, Stunden du rennst, du kommst an kein Ende. Drehst du dich um, bist du hingegen in drei Schritten wieder unten. Wenn du alle Sterne gesammelt hast, die du brauchst, begegnet dir auf einmal eine stinknormale Treppe, mit klar definiertem Anfang und ebenso eindeutigem Ende. Das schöne Paradox der in eine Richtung unendlichen, in die andere sofort ĂŒberschaubaren Treppe darf nur auftreten als zu ĂŒberwindendes Zwischenstadium im Videospiel.
1
Wir mĂŒssen unsere Sprache, unsere Blicke und auch unsere Körper anpassen, dazu fordern uns die Bilder heraus. Denn in sie lĂ€sst sich nicht âfallenâ oder âspringenâ oder âeintauchenâ. Sie wollen etwas anderes. Sie laden ein zum gemeinsamen Gang ĂŒber die OberflĂ€che, ĂŒber ihre Strukturen und Schichten. In der dabei neu gewonnenen MĂ©lange an Material, Bild und Geschichte kommen wir an EindrĂŒcke, die uns notwendigerweise entgehen, wenn wir glauben, das Beschreiten einer Treppe fĂŒhre uns an einen qualitativ anderen Ort â und nicht in erster Linie zu einer neuen Augenhöhe, von der aus sich wieder anders mit den uns umgebenden Bildern ins Sprechen kommen lĂ€sst.
Simon Nagy
Simon Nagy