
Sophie Meuresch, Johannes Raimann, Yapci Ramos, Marie Rief, Sebastian Riemer, Claudia Rohrauer, Bastian Schwind, Sophie Thun
das vorphotographische
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- đź’š Julia Reich, Johannes Raimann, Bastian Schwind
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Ueberlegungen zu einer körperlich-performativen Praxis des vorphotographischen
„Alle Künste gründen auf der Anwesenheit des Menschen; nur in der Photographie genießen wir seine Abwesenheit.“1 Dies schreibt Kultur- und Filmtheoretiker André Bazin in seinem wohl berühmtesten Essay Ontologie des Photographischen Bildes von 1945. Darin sucht Bazin das Wesen der Photographie im Unterschied zur Malerei zu bestimmen. Er gerät jedoch zu dem Fehlschluss, aus der technischen Struktur des Mediums eine von menschlichem Zutun befreite Norm abzuleiten: Für ihn habe die Erfindung der Fotografie den langgehegten Wunsch nach Realismus im Bild endgültig erfüllt, dem die Malerei in ihrer Ähnlichkeitsversessenheit so lange nachstrebte. Eine völlig objektive Wirklichkeitswiedergabe könne die Malerei ihm zufolge deshalb nie erreichen, weil sie im Unterschied zur „automatischen Entstehung“2 photographischer Bilder auf der schöpferischen Vermittlung des Menschen fuße.
Achtzig Jahre später, in einer Ära neuer Bildproduktion und KI-generierter Bildern, die die Wirklichkeit imitieren und mit tatsächlichen Photographien konkurrieren, stellt sich die Frage nach dem Desir des Automatismus in der Bildgebung neu. Um dieser aktuellen Diskussion angemessen zu begegnen, scheint es umso dringlicher zunächst die Photographie – als eines der ersten technischen Bildgebungsverfahren – (erneut) nach den blinden Flecken jenseits des Bildes zu befragen, innerhalb derer menschliches Tun lange unbemerkt und ungesehen blieb: begonnen bei der photographischen Entscheidung über Gegenstände, Personen und Kompositionen im Bildraum, über die Materialwahl und Belichtungszeiten, bis hin zur (analogen oder digitalen) Bildretusche. Vor dem eigentlichen photographischen Bild steht ein komplexes Zusammenspiel, bei dem optische, chemische, apparative, materielle Prozesse mit zahlreichen Arbeitsschritten, Handgriffen, Körperbewegungen ineinandergreifen. Glaubt man, diese körperliche und zugleich performative Praxis sei mit dem technischen Fortschritt zunehmend in die Schwundstufe geraten, zeichnet gerade der Digitalbereich ein kontraintuitiv anderes Bild nach. Sowohl bei Hardware, als auch bei Software spielen körperliche Arbeit, erlernte Handfertigkeiten, Gesten und Mimik, aber auch piktorielle oder maßstaborientierte Körperbezüge eine eklatante Rolle. Denn, dass die Displaytechnik und Datenspeicherung ohne den arbeitsprekären Abbau von Konfliktmineralien und kritischen Rohstoffen wie Silizium undenkbar wäre, das in seiner Verarbeitung ressourcenintensiv und umweltschädlich ist, vergessen oder verdrängen wir nur zu oft. Ganz offensichtliche Bezüge zum Körper und zur (photographischen) Arbeit hingegen zeigen die Displays selbst. Davon zeugt nicht nur die Übersetzung des physischen Schreibtisches in den digitalen Desktop, auch das ureigenste Arbeitsinstrument – die Hand – ist im Werkzeugkasten der Bildbearbeitungssoftware Photoshop enthalten. Zwar kann mit dem Hand-Piktogramm das Bild auf der digitalen Arbeitsfläche hin und her geschoben werden, der Vorgang erscheint dabei aber immateriell und nicht tastbar. Und doch handelt es sich in um die Übersetzung einer händischer Erfahrung, da das Hand-Werkwerkzeug von der physischen Hand über den Screen oder die Maus gesteuert wird. Obwohl photographische Arbeitsschritte mit dem Einzug von Digitaltechnik scheinbar von ihren ursprünglichen Materialien und haptischen Vorgängen gelöst werden, sind sie dennoch nicht ohne Rückbezug auf körperliche und händische Arbeit denkbar.
Das Verständnis von Photographie als einem Darstellungsmedium, das sich durch einen neutral geglaubten Automatismus endlich der subjektiven Menschenhand entledigen und deshalb den Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität und Wirklichkeitsrepräsentation erheben konnte, wurzelt in den Anfängen des Mediums im 19. Jahrhundert. In den Grundzügen klingt dies schon im Titel der photographischen Pionierschrift Stift der Natur von William Henry Fox Talbot von 1844/1846 an.4 Talbot betrachtete das kalotypische, photographische Bild als eine von der Natur kreierte Zeichnung, die nicht mehr auf die menschliche Hand angewiesen ist und mitunter deshalb zur juristischen Beweisführung genutzt werden könne.5
Der Wunsch nach der Reduktion menschlicher Einflussnahme aus dem Prozess photographischer Bildproduktion und der Eliminierung händischer Spuren im photographischen Bild sind daher charakteristisch für die Entwicklung der Photographie und prägen tiefgreifend das Verständnis von bildgebenden Medien bis heute. Aus heutiger Sicht mag dies allein deshalb widersprüchlich wirken, da bereits im 19. Jahrhundert die Vorbedingungen für die Entstehung eines photographischen Bildes auf körperlich-performativen Praktiken basierten, wie dem Inszenieren und Posieren im Photoatelier, dem technikkundigen Aufnehmen mit der Kamera, dem Experimentieren mit chemisch-technischen Entwicklungsverfahren in der Dunkelkammer und schließlich verschiedenen Techniken der Bildbearbeitung in der Postproduktion. Jene, das spätere Bild maßgeblich bestimmenden Vorgänge blieben lange Zeit unberücksichtigt. Sie hatten kaum Einfluss darauf, was man weitestgehend unter Photographie verstand, da lange eine Bild- und Motivgeschichte die Diskussion dominierte.
Was ist Photographie? Ausweitungstendenzen des Gegenstandsbereiches
So verdankt sich jene Ausweitung der Aufmerksamkeit vom photographischen Bild hin zu seinen Produktions- und Rezeptionsprozessen den bildkritischen und genealogierevisionistischen Auseinandersetzungen im Zuge der weitreichenden Krise der Repräsentation.7 Für den Phototheoretiker Philippe Dubois war es Anfang der 1980er Jahre ein Anliegen, die Photographie von dem “Phantasma einer Verschmelzung mit dem Realen” zu befreien. Zwar hatte bereits Roland Barthes mit seinem Essay Die Helle Kammer wenig zuvor geltend gemacht, dass die photographische Realität nicht einfach abgebildet, sondern aktiv konstruiert wird, doch Dubois verschob seinen Fokus noch weiter in den Bereich des Prozesses. Er wies darauf hin, dass eine Photographie nicht nur als Bild betrachtet werden müsse, sondern als Resultat verschiedener Akte (menschlicher, apparativer, materieller, chemischer), die sie erzeugen und denen – gemäß Herta Wolfs Vorwort – eine eigene performative Wirkmacht innewohnt.9 Damit richtete Dubois den Blick jedoch nicht nur auf den Moment photographischen Auslösens, sondern plädierte dafür, die Photographie grundsätzlich als einen Prozess zu begreifen, der sich aus Akten der Produktion und Rezeption konstituiert.
Die Schriften von Barthes, Dubois und anderen haben unser Augenmerk darauf gelenkt, was sich jenseits der photographischen Abbildung abspielt. Dadurch wurde ein praxeologisch-performativer Zugang zum Medium eröffnet, mit dem es möglich war, Photographie auf der Grundlage ihrer Konstituierungsprinzipien neu zu denken. Diese entlang der Photographie befragten Randzonen liefern insofern aufschlußreiche Zugriffsperspektiven für bildgebende Medien im 21. Jahrhundert, als auch diese sich aus einem – zugegebenermaßen anders gelagerten – Zusammenspiel aus Prozessen menschlicher und nicht-menschlicher Akteur_innen speisen. Denn die Frage, ob der Mensch, sein Körper, seine Handlungen und seine Arbeit angesichts expandierender Digitaltechnik, Smartphones, Social-Media-Filtern und KI-Bildgeneratoren verstärkt ins Abseits geraten oder gar obsolet werden, bleibt auch im Zeitalter der Post-Photographie bestehen. Deshalb tendierte die medientheoretische Diskussion dazu, die Post-Photographie als einen durch digitale Technologien provozierten Umbruch im konventionellen Verhältnis zwischen Urheber_innen, Apparat und Publikum zu greifen, der den Zweifel an Wirklichkeitsreferenz antreibt. Damit scheint sich der ursprüngliche, an die Photographie angelegte Wunsch nach einer automatischen Bildgenerierungstechnik, in der Retrospektive in eine begründete Sorge verwandelt zu haben.
Photographische Randzonen im Fokus – das vorphotographische
Ohne sich in dystopischen (oder utopischen) Spekulationen zu verlieren, setzt die Begriffsbildung der Prä-Photographie von Johannes Raimann und Bastian Schwind an eben jener Randzone von Photographie an, die es erlaubt diesem oft unsichtbaren und daher spekulativen Terrain des vorphotographischen in ihrem ästhetischen Potential zu begegnen.11 Prä-Photographie steht in diesem Kontext keineswegs für eine Inblicknahme einer Vorbild-Funktion im prototypischen Sinne. Vielmehr macht sich das Konzept zur Aufgabe alle vor der (photographischen) Bildwerdung liegenden Prozesse in den Fokus zu nehmen und sie zum Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung zu erheben. Damit avanciert Photographie als “Phänomen und Disziplin mit ihren Formalitäten, Methoden und Ritualen” selbst zum Experimentierfeld der ästhetischen Befragung. Die Leitfrage danach, welche Prozesse vor der fertigen Photographie geschehen, weist in viele verschiedene Richtungen.
Bei der Inblicknahme dieses Prä als ein Vor der Photographie, erscheint die Begriffsbildung angesichts der heute viel diskutierten Post-Photographie, die das vermeintliche Ende der Photographie heraufbeschwört, wie ein medienhistorischer Gegenpol zu wirken. Sicherlich kann dieses Prä ebenso eine medien- und diskurshistorische Dimension der Photographie einbeziehen, etwa die Zeit prä-photographischer Verfahren, wie der Camera Obscura oder Daguerreotypie. Doch würde die Betrachtung von Prä und Post als bloße Zeitmarken auf der Entwicklungsachse der Photographie beiden Präfixen Unrecht tun. Denn wie bereits vielfach erkannt wurde, haben Versuche, den Kern der Post-Photographie allein durch Bezugnahme auf das vermeintliche Ende der Photographie zu definieren, wenig zu ihrem Verständnis beigetragen. Im Gegenzug scheint die Prä-Photographie nicht nur die Zeit vor 1839, dem oft als Geburtsstunde der Fotografie betrachteten Jahr, zu umfassen. Vielmehr sind solche Begriffsbildungen Appelle an eine diskursive Blickneuausrichtung, an eine Überprüfung bisheriger Zugriffe und Auseinandersetzung mit den desideraten Randzonen.
An eben so eine Randzone knüpft der Ausstellungstitel das vorphotographische an, als eine Dimension des Konzepts Prä-Photographie. Worauf die Kleinschreibung des Titels hindeutet, ist ein oft ungesehener, schwer abzusteckender Bereich vielfältiger körperlich-performativer Praktiken, die hinter dem photographischen Bild liegen. Hiermit wird ein praxeologisches Feld des photographischen Handelns künstlerisch und theoretisch beschreibbar, das im Monopol des singulären photographischen Bildes kaum greifbar ist. Es gilt den Blick auf eben diese Phänomene der photographischen Arbeit zu lenken, die erst zum photographischen Bild führen: Die körperliche wie auch handwerkliche Arbeit, das Zusammenspiel zwischen Mensch, Apparatur und Material, aber eben auch die aus diesem Wechselspiel über Jahrhunderte kultivierten technischen, wie ästhetische Normative. Diese Randzone der körperlich-performativen Praxis ist in gleichem Maße augenfällig und auch unsichtbar, da gerade jene Prozesse in der Stillstellung des photographischen Bildes fixiert und zugleich nivelliert erscheinen. Ein photographisches Portrait etwa vermag die langwierige Praxis des Aufnehmens, Experimentierens, Anweisens, Inszenierens und Posierens in einem Bild nicht wiederzugeben. Laut der Phototheoretikerin Katja Silvermann antizipiert die zu porträtierende Person mit ihrem Körper bereits die eigene Bildwerdung, wobei die ständige Neuausrichtung und das Befolgen von Instruktionen im Bild selbst unsichtbar bleiben. Silvermann zufolge performt das Modell durch Posen, Gesten und Mimiken im Moment des Auslösens eine “vor-fotografische Fotografie”, in dem es sich ästhetischen Normativen und Blickregimen eines Bildes unterwirft, das noch nicht existiert. Nicht nur die vielfältige Arbeit im Aufnahmeprozess, sondern auch die anschließende (handwerkliche) Arbeit scheint im eigentlichen Bild zu verschwinden. Das Belichten und Entwickeln des Films, das Zuschneiden der Abzüge und deren Rahmung können im Abbild selbst oft nicht mehr nachvollzogen werden. das vorphotographische lädt dazu ein jene, aber auch weitere Praktiken analoger und digitaler Verarbeitungsprozesse zu reflektieren. Durch diese Perspektivenverschiebung wird ein sonst zeitlich und räumlich jenseits des photographischen Bildes liegendes Terrain erkundet. Dabei werden nicht nur die Produktionskontexte in ihrem ästhetischen Potential sichtbar und erkundbar. Es zeigt sich zudem, dass photographische und auch digitale Bildgebungsverfahren nie in Abwesenheit menschlicher Praktiken zu denken sind.
Julia Reich