Archive 2021 KubaParis

Achatschnecken in der Auguststraße

Luise Marchand, Aufschwung in Gefahr, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Aufschwung in Gefahr, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Verunsicherte Anleger, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Verunsicherte Anleger, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Blick ins Pantoffel-Portfolio, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Blick ins Pantoffel-Portfolio, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand beim plaktieren
Luise Marchand beim plaktieren
Plaktierung im öffentlichen Raum
Plaktierung im öffentlichen Raum
Luise Marchand, Millardenschwerer Rettungsschirm, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Millardenschwerer Rettungsschirm, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Bequem anlegen, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm
Luise Marchand, Bequem anlegen, 2020, Fotografie auf Affichenpapier, 594 x 841 cm

Location

Berlin

Date

30.04 –13.05.2021

Photography

Paul Baumgarten

Subheadline

400 Plakate in Mitte und Schöneberg, Werbefläche statt White Cube zum Gallery Weekend

Text

Luise Marchand hat beobachtet, wie Schnecken ihre Körper über Geldscheine und Münzen ziehen, an den Falten und Stapeln hochklettern, voller Vorsicht und Neugierde ihre Fühler ausstrecken. Die Bilder, die sie von diesen Szenen gemacht hat, erinnern mit ihren hellen und flächig organisierten Farben an Stockfotografie. Tatsächlich sind die Aufnahmen der Schnecken in ihrer Landschaft aus Geld gerade unter dem didaktischen Titel „Zeit ist Geld“ zur Illustration von Nachrichten und Werbeanzeigen gut geeignet. Und doch sind die Konstellationen nicht so glatt, wie man vermuten könnte, machen sie allerlei Probleme. Denn es scheint so, als entwickelten Schnecken und Geld einige Eigenschaften, die erst bei ihrem unwahrscheinlichen Aufeinanderstoßen sichtbar werden. Vielleicht ist es vergleichbar mit dieser Reaktion im Mund, die sich einstellt, wenn man ein weichgekochtes Ei mit einem Silberlöffel isst. Schnecken und Geld sind jeweils für sich genommen okay. Ihre Herkunft aus der Natur oder der Zivilisation, pflegt man getrennt zu denken. Luise Marchands Schnecken schleppen sich über die Scheine und Münzen, wie sie es sonst über Gräser und Fallobst tun. Dass sie den warmen und schleimigen, im Ziel schließlich verschlingenden Kontakt ausgerechnet mit Agenten der Marktwirtschaft vollführen, wird sexuell und wirkt verstörend. Geld, also Scheine und Münzen, sind anale Gegenstände. Die kulturelle Praxis, die sie hervorgebracht hat, basiert auf Arbeitsethos und Sparsamkeit. Scheine und Münzen werden festgehalten und angehäuft, selbst noch nach der digitalen Auflösung ihrer papiernen und metallenen Gestalt. Tatsächlich gehören Geldscheine und Münzen nicht der natürlichen Umgebung von Schnecken an und sie gehören auch nicht zu jenem Teil des menschlichen Alltags, für den sich Schnecken interessieren. Sie ziehen sich als unmittelbarster Teil von Natur über den wohl am meisten vermittelten (oder entfremdeten) Teil einer Kultur.

Radek Krolczyk