Groupshow: Neda Aydin, Lara Fritsche, Marie Reichel, Theresa Lawrenz, Judith Leinen, Julia Miorin, Miriam Steinmacher, Lisa Strozyk, Lioba Wagner, Marcel Friedrich Weber
Katze im Sack
Project Info
- 💙 basis projektraum
- 💚 Neda Aydin & Marcel Friedrich Weber
- 🖤 Groupshow: Neda Aydin, Lara Fritsche, Marie Reichel, Theresa Lawrenz, Judith Leinen, Julia Miorin, Miriam Steinmacher, Lisa Strozyk, Lioba Wagner, Marcel Friedrich Weber
- 💜 Sonja Yakovleva
- 💛 Philipp Levinger
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Die heute noch geläufige Redewendung „Die Katze im Sack kaufen“ meint etwas ungeprüft übernehmen, kaufen und dabei übervorteilt werden. Die Festlegung auf die Katze rührt daher, dass früher auf Märkten oft eine wertlose Katze anstelle eines Ferkels, Kaninchens oder Hasens in den Sack getan wurde, um den unachtsamen Käufer hereinzulegen. So beschreibt es zumindest das Duden Wörterbuch der Redewendungen. Parallelen könnte man auch auf Kunstmärkten finden: digitalisierte Verkaufsräume, wie sie 2020 während des ersten Corona-Lockdowns von Galerien errichtet wurden oder die inszenierte und aufgehübschte Instagram-Präsentation von Kunstwerken reichen nicht aus um die anvisierte Ware beruhigt kaufen zu können. Das ausgewählte und bearbeitete Material, aus dem ein Kunstwerk entstanden ist, will vor dem finalen Kauf trotz der viewing rooms, PDFs und der gut beleuchteten Instagram-Kacheln real in Augenschein genommen werden – „Ich kauf doch keine Katze im Sack!”
Was passiert nun, wenn wie im Ausstellungstitel das Verb kaufen fehlt, das Kommerzielle keine Rolle mehr spielt und es einfach nur um die Katze im Sack geht? Ist diese dann trotzdem weiterhin wertlos und weniger Wert als ein Ferkel, Kaninchen oder ein Hase im Sack? Könnten die begehrten Schlachttiere im Gegensatz zu der wertlosen Katze bezogen auf Kunstwerke für beliebte Materialien stehen, die keine Spuren ihrer Beschaffenheit aufweisen, sondern nur ausgenutzt und beherrscht werden, um bloß dem Künstler zu dienen und am Ende gefällig zu wirken? Will man dagegen in der Entscheidung für die Katze im Sack die Wahrnehmung des Betrachters mit den ausgewählten Materialien bewusst täuschen und in Frage stellen?
Die beiden Kurator:innen, Neda Aydin und Marcel Friedrich Weber, die in der Ausstellung auch als Künstler:innen agieren, sind auf jeden Fall diejenigen, die die Katze oder mehrere Katzen aus den Säcken rausgeholt haben. Für die Ausstellung wurden Künstler:innen ausgewählt, die sich in ihrer Arbeitsweise mit Fragen nach Material und Materialität befassen. Die ausgestellten Werke sollten ausschließlich per Post eingesendet werden sollen, da eine unkommerzielle und eigenständig organisierte Gruppenschau mit den alles verschlingenden Transportkosten sonst nicht realisierbar wäre. Dadurch verstärkte sich natürlich der Charakter des Unbekannten zusätzlich, manche Werke wurden zwar digital aus Bestehenden ausgewählt, andere entstanden hingegen komplett neu und ließen sich in ihrem Charakter durch das Verschicken per Post und der damit verbundenen Herausforderungen leiten und verändern.
Das Paket von Marie Reichel kam in zwei Teilen aus Wien. Der zu einem bananenförmigen Objekt verpackte Teil mit den gebogenen Stahlstangen galt bei der Post zunächst als verschollen – was nicht rechteckig beschaffen ist, läuft Gefahr, bei der normierten Deutschen Post in der überforderten Sortiermaschine stecken zu bleiben. Kurz vor der Eröffnung tauchte es dennoch auf. Die von den gewölbten Stahlruten gehaltene Skulptur If you were gone I didn ́t have to smell your feet, die als Spruch auf dem Boden und an der Wand befestigten Flipflop-artigen Sohlen nachlesen lässt, wirkt wie eine poetische Auskunft oder eine gedankliche Metapher über die Kompensation oder den Wunsch nach einem Liebesaus. Das dunkle Schwarz, dass sich bei den verwendeten Materialien wie Eisen, Holz und Keramik wiederfindet und durch das Brennen der einzelnen Materialien entstand, wirkt aber auch wie ein Gedanke oder eine Erinnerung, die man schnell wieder auslöschen und vergessen würde.
Die von Judith Leinen aus Amerika zugesandten Bodenarbeiten mit dem Titel Spillsafe, wirken wie ein Sinnbild für das Wesen von Verpackungsmaterial und nutzen die der Verpackung anhaftende Ästhetik und Materialität zum Anlass ein Kunstwerk zu erschaffen, das zugesandt als solches, ohne künstlich zugefügte Präsentationsformen, eigenständig funktioniert. Die normalerweise übrig bleibenden und für die Entsorgung bestimmten Verpackungsmaterialien wie die türkisfarbenen Plastikbänder werden in einer ausgeklügelten Glaskonstruktion zu Sockeln, auf welchen der von nike hergestellte und von der Künstlerin veränderte future foam präsentiert wird und die gestalteten Objekte wie temporäre Architekturmodelle für die namensgebenden Imperien wirken lässt.
Sich mit Materialität zu befassen, kann auch bedeuten über die Immaterialität von etwas nachzudenken. Wie kann zum Beispiel Luft sicht- und hörbar gemacht werden? Hierfür hat Miriam Steinmacher in der Arbeit Partial Limbo einen Vertreter gefunden, der sich im Ausstellungsraum in Form von mehreren Orgelpfeifen hörbar macht. An verschiedenen Stellen des Raumes, durch Radiallüfter versorgt, suchen sie auf fragilen Drahtgestellen an den Wänden nach Halt und reden sich gegenseitig bestärkend in ihrem Dasein zu, auch wenn am Ende diese Mehrstimmigkeit nur einen monotonen Ton ergibt.
Neda Aydin befasst sich in der Arbeit Schuss & Schutz mit etwas was ungewöhnlich klingt, nämlich mit den Falten von Fersen. Die in der griechischen Mythologie als eine sensible und verwundbare Stelle am Körper berühmte Achillesferse, soll in der Arbeit nicht wie im Mythos dem Pfeil ausgesetzt, sondern in Form von einer Reverse nach innen gekehrt werden um sich so selber schützen zu können. Auf der Suche nach der Form, welche die Korrelation zwischen Verletzbarkeit und Schutz sichtbar machen würde, bediente sich Aydin dem Griff eines Fitnessschwingstabes, der zur Hälfte geklappt, in Porzellan gegossen und unglasiert gelassen wurde, um die wertvollen Falten zu erhalten. Der im Mythos gefährliche Pfeil legt sich nun als eine gebogene Stahlstange schützend um die nach innen gekehrte Ferse.
Das Paket von Julia Miorin, welches aus Leipzig versendet wurde, könnte ein weiches Polsterelement sein, das als Ersatzteil für ein teures Designsofa nachgeschickt wurde. Nur, dass der Rest des Möbelstückes fehlt, und das zugesandte Objekt wie eine Art Anrichte oder Ablagefläche für Briefe oder Schlüssel wirkt. Statt den üblich bekannten Dingen, die auf einer Ablage liegen würden, finden sich auf einem pinken Obstschutz liegend, eine Portion der kultigen Yum Yum Nudeln wieder. Banale und lieblich wirkende Alltagsobjekte werden hier spielerisch inszeniert, hinterlassen in ihrer Simplizität und Perfektion dennoch ein Unbehagen, dass an dem perfekten Arrangement vielleicht doch etwas faul sein könnte.
In dem Video Onions von Lisa Strozyk scheint der festgehaltene Alltag und dessen Bewältigung samt seiner profanen Bereiche das untersuchte und den Film formende Material zu sein. Das Aufwachen beginnt als drehendes Abtasten des Zimmers, nur dass es die Augen der Kamera sind, die wach werden; und die Nahaufnahme vom Knäckebrot mit Honig zum Frühstück versinnbildlicht die Zähigkeit der Existenz. Die auf der Straße durchs Bild vorbeifetzenden Autos, sowie die auf dem Boden liegenden Herbstblätter wirken wie eingearbeitete Animationen. Die Schiebetüren des Supermarkteingangs kündigen in einer Art Überblendung den zweiten Teil an: die Zwiebeln bleiben ungekauft, stattdessen gibt es eine weitere Packung Knäckebrot mit Ü-Ei-Schokolade als Topping.
Das zur Kante zwischen der Wand und Decke strebende Tuften-Fragment, erinnert an vorbeiziehende Landschaften, die je nach Jahreszeit unterschiedlich koloriert als rechteckige Flächen aus der Vogelperspektive beobachtet werden können. Es handelt sich hier aber um eine Nahaufnahme eines Baumes, wie der Titel der Arbeit Kirsche (Cherry) von Lioba Wagner ankündigt. In dieser geht die Künstlerin mit Wolle und Latex der Aststruktur und den sich dazwischen bildenden Zwischenräumen eines Kirschbaumes nach.
Den Blick von dem Kirschfragment zu der Arbeit burst/boost von Theresa Lawrenz folgend und den Kopf zur Seite geneigt, könnte man in den herabhängenden gewölbten Objekten ebenfalls Bäume erkennen, die stilisiert von oben nach unten wachsen. Es handelt sich aber bei näherer Betrachtung um Motorradvisiere, welche aus Beton gefertigt wurden. Die auf unterschiedliche Höhen ausgerichteten Visiere sind tückisch und ihrer eigentlichen Funktion beraubt. Sie versperren die Sicht und wirken wie alptraumhafte starre Augenbinden, in denen ein Motorradunfall vorprogrammiert ist. Dieses beklemmende Gefühl wird von den auf der Vorderseite in Beton eingefangenen und verflossen wirkenden Beauty-Masken verstärkt.
In den sinnlichen Fotografien von Lara Fritsche erscheint die inszenierte und festgehaltene Plastizität in der tatsächlichen Zweidimensionalität überraschend körperhaft. Der Blick folgt den Arrangements, die an surreale Natures mortes erinnern. Zwei adrett frisierte Kiwiköpfe, deren Frisuren aus einer Comiczeichnung stammen könnten, stehen dicht aneinander und werden von einer Krawatte umhüllt, dessen Spitze auf die Bildvorderfläche zuläuft und mit einem halbrunden Latexklecks an der Kante sauber abschließt. Die unterschiedlichen Hintergründe, die sich streifenförmig übereinander anordnen, erschweren dem Auge das Zuordnen der einzelnen Texturen, Größenverhältnisse und Perspektiven und es bleibt ein Gefühl von Ungeklärtheit, welches den Blick erneut auf der Suche nach Aufklärung streifen lässt.
Die weiche Skulptur Snake Bite Love von Marcel Friedrich Weber konfrontiert den Betrachter mit konnotierten Wahrnehmungsstrukturen und den damit verbundenen Vorstellungskräften. Eine etwa 20 Meter große in sich gerollte Schlange aus zusammengenähten Teddyplüsch und Füllwatte lehnt an einem zipfelartigen Kissen. Zu gerne würde man sich in den Haufen kuscheln und den Kopf in das Weiche Kissen sacken lassen. Bekanntlich darf man Kunstwerke nicht einfach so anfassen, aber in diesem Fall sollte man wirklich davon absehen, den Kopf ins Kissen fallen zu lassen, weil der Schein des weichen Kissens trügt; es ist nämlich aus Gips und alles andere als kuschelig.
Sonja Yakovleva