Natalie BrĂŒck, Caroline Streck
Dancing Tangerine Tango
Project Info
- đ KĂŒnstlerhaus Sootbörn
- đ€ Natalie BrĂŒck, Caroline Streck
- đ Jan Erbelding
- đ Helge Mundt
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DANCING TANGERINE TANGO
Natalie BrĂŒck + Caroline Streck
5.-20.11.2022 im KĂŒnstlerhaus Sootbörn
1)
Dancing Tangerine Tango, spreche ich laut gegen den Bildschirm von meinem Laptop und tippe die Wörter dann anschlieĂend recht gerĂ€uschvoll ins Eingabefeld meiner Suchmaschine ein. Die Suche mit der ich suche, gibt mir vor allem Dancing Tangerine Tango als Ausstellungstitel einer Duoshow von Natalie BrĂŒck und Caroline Streck im KĂŒnstlerhaus Sootbörn in Hamburg aus. FĂŒnfter bis zwanzigster November. Eröffnung am 04.11. Von hier aus ist das Zukunft. Gut gemacht kleiner Roboter, Sie haben ihr Ziel erreicht. Sonst zeigt das Ergebnis noch einen Online-Shop, in dem mir verschiedene Textilien angeboten werden, die mit ĂŒbernatĂŒrlich fröhlichen, breit-grinsend Tango tanzenden Tangerinen bedruckt sind. Von der Darstellung her ziemlich klassisch, ĂŒberdreht personifiziert psychedelisches Obst. Na gut, denke ich â hier war ich auch vor 0.000004632 Sekunden schon und schlieĂe zögerlich mit groĂer Geste alle offenen Tabs.
Ich bin erstmal lost. Ich hatte gehofft, oder ich hatte vielmehr erwartet, sowas wie einen ersten Wegweiser zu finden, etwas das mir sagt, wo das herkommt der Titel und wo der hingeht, dazu die ganze Historie vielleicht und die ganzen ZusammenhĂ€nge, aktuelle, zeitgenössische Beziehungen, Verortungen, Theorien und Diskurse. In stabilen Verbindungen von hier aus dann alles ausformuliert. Eingabe, Ausgabe, Annahme, Ăbernahme â aber, nein nichts. Ich konnte schon kaum rausfinden was ĂŒberhaupt eine Tangerine sein soll, auĂer, dass das eine Frucht ist, die weder Mandarine noch Orange ist, aber beidem schon sehr, sehr Ă€hnlich schaut und hier jetzt also zu tanzen beginnt, mit mir schon fast, mich dabei sehr bestimmt an der HĂŒfte fasst, und also herstellt, einen Schwebezustand zwischen was, das ich kenne und etwas das mir völlig Unbekannt ist, und dabei lĂ€chelt aus einer Wolke raus wie Cheshire Cat, und also doch dann dadurch sowas wie eine Richtung vorgibt, auch wenn ich Tage, fast Wochen dafĂŒr gebraucht habe genau das zu bemerken, dafĂŒr, genau das rauszufinden, was das ist, das das das ist, die Richtung, grobe Richtung zumindest, und dass das oder dass die eben nichts Konkretes sein kann, dass eine Lösung darin liegt durch den Titel selber hindurchzugehen um dann umfassend genĂŒsslich lost zu sein, also selber sowas wie der Tangerine Traum zu werden, von sich ausgehend, von mir ausgehend zunĂ€chst oder von dir zunĂ€chst, was sich von dort aus auswachsen wird, von selber eh noch mehr, immer, es kann gar nicht anders, und hat es eh schon getan, und von dort aus in unendliche Richtungen â es ist o.k., wir folgen schwankend, ich bin die Interpretationsmaschine und also, Dancing Tangerine Tango.
2)
Ich entscheide mich â ganz weil WidersprĂŒche leben â zumindest in der Struktur des Textes doch erstmal dagegen jetzt mit euch schon sofort der Tangerine Traum zu werden und krame ein Buch aus dem Regal. Eigentlich musste ich da schon sofort nach einem ersten Blick auf die Arbeiten von Natalie und Caroline dran denken. In ihrem ziemlich berĂŒhmten und sicher millionenfach in Ausstellungstexten zitierten Essay âAgainst Interpretationâ spricht sich die Autorin Susan Sontag gegen die ihrer Meinung nach groĂe Unart zeitgenössischen Kritiker:innentums aus (1966) und vor allem gegen die damit verbundene, von ihr als mindestens aggressiv bis gewaltvoll empfundene Interpretation von Kunst. Die Worte der Kritiker:innen, Interpretator:innen, so Susan Sontag, trennen den Inhalt von der Form ab, geben letzterer eine eher beilĂ€ufige Bedeutung und ĂŒberhöhen den Inhalt oder den Inhaltsbegriff so stark, dass damit exponentiell der Wunsch nach einem Inhalt in der Kunst steigt und am allerschlimmsten: sich die Annahme, dass es das ĂŒberhaupt gibt, den Inhalt eines Kunstwerks, fĂŒr immer in den Köpfen der Betrachter:innen als eine unumstöĂliche Wahrheit einschreibt. Dabei ist das aggressive oder gewaltvolle fĂŒr Sontag vor allem die Annahme von einem Verborgenen in der Kunst, das von der Kritiker:in (und eigentlich auch von der Betrachter:in) nur freigelegt werden muss. Es geht ihr nun auch nicht nur um die reine Erfahrung von Kunst. VerkĂŒrzt gesagt stört sie (und mich ja auch) hauptsĂ€chlich die Vorstellung von Inhalt als 1 Richtiges. Der Inhalt. Die Annahme von etwas, das immer schon im Kunstwerk enthalten war, immer schon da ist, etwas das genau dieses eine Richtige ist, 1 Inhalt â einer der unter den Formen freigelegt und aus der Kunst heraus-interpretiert werden kann. Sontag basht noch im Vorbeigehen Siggi Freud, bei dem sie einen Ă€hnlichen Ausgestaltungswahn durch Interpretationen in Richtung einer einzigen, vielleicht sogar universellen, wahren Deutung, sieht. Der eine Typ, der dir erklĂ€rt was Sache ist, wĂ€hrend du denkst, fuck irgendwas stimmt schon wieder nicht mit mir, weil ich habâs schon wieder falsch interpretiert. Klar, das war 1966 und viel ist anders heute und öfters denke mir beim Lesen von so Galerietext eher, oh Wahnsinn, wie viel Inhalt und Diskurs kann so Kunst eigentlich auf einmal. âInterpretation ist die Rache des Intellekts an der Kunstâ, schreibt Sontag, âMehr Noch. Sie ist die Rache des Intellekts an der Weltâ. Ich muss natĂŒrlich bisschen Lachen, weil der Satz sehr gut klingt und dabei so arg schön rigoros ist. Ich bin auch mit der Annahme von Sontag einverstanden, dass die Interpretation durch Kritiker:innen, also das RausschĂ€len von der einen richtigen Interpretation, die Kunst zĂ€hmt und einhegt und kleinredet vielleicht. Ich versuche ihre Aussagen in die Gegenwart (2022) rĂŒberzuziehen und ganz gelingt mir das nicht. Ich mag natĂŒrlich auch manche Texte die sich die besprochenen Arbeiten einfach als Ausgangspunkte nehmen und ab dann selbststĂ€ndig machen. Ăberinterpretation. Gibt es eine zĂ€rtlich, freundlich, wertschĂ€tzende Form von Interpretation frage ich mich, und denke aber ja, eigentlich keine Frage.
3)
Etwas knackt und sĂ€uselt und bitzelt. Organisch, ganz klar. Ich erkenne einen Mund der die GerĂ€usche macht. Sehe ihn aber nicht. Kann mir kleine BlĂ€schen auf den Lippen vorstellen, höre die Laute, hohe, spitze, ein weiches Klicken, Glitschen, immer wieder. Ich sehe Videobilder von etwas, das ich weiter nicht richtig zuordnen kann. Ich muss mich von Zuordnungen verabschieden. Ich muss mich von 1 Richtig verabschieden. No One Belongs Here More Than You. Also du. Oder auch ich. Mein Ich, mein interpretierendes Ich, mein jetzt unaufhörlich interpretierendes, sich immer wieder von neuem orientierendes Ich, versucht sich zurecht zu finden und nimmt alles dafĂŒr als Anlass â alle Wörter, jeden Satz, jede Andeutung, erkennt Gesichter in weicheren Formen oder Landschaften dort wo immer sich Horizonte andeuten. Alles nur Mögliche und Unmögliche greift sich mein Gehirn als Anker aus den abstrakten Bildern. Es gibt auch klar erkennbar RosenblĂ€tter und grĂŒne Wiesen und langsam schwebende Nebel â irgendwie kĂŒnstlich und von einer digitalen KĂŒhle umweht und dabei so definitiv analog und organisch in ihrer Haptik. Ein bisschen so, als hĂ€tte Natalie in ihren Videoplays die Anmutung von 3D-Animiertem mit analogen Mitteln im Atelier nachgebaut. Was die Suche nach Halt in meinem Gehirn nur mehr verstĂ€rkt. In mir weiter immer wieder wilde RĂŒckkopplungen â zu was ich gesehen habe, gehört habe, kenne, weiĂ. Parts. Words. âSie berĂŒhren sich / bewegen sich / weiter / deuten / ⊠es bewegt sich / um mich rum / ich bewege mich mit / âŠâ.
Nachdem ich erst noch versuche Wege und Richtungen auszuschlieĂen und alles in mir zusammenkneife um schĂ€rfer oder besser begreifen zu können, lasse ich mich auf alles ein, was mein Gehirn so produziert und in mir rumprojiziert. Der Tangerine Traum werden. Die Interpretationsmaschine lĂ€uft. Momentan ist gut, momentan ist richtig. Irgendwann kann ich mir dabei zuschauen, wie ich alles Eingegebene verarbeite, wie diese Erfahrung der Kunst von mir wĂ€hrenddessen interpretiert wird und wie diese Interpretation wiederum zur Erfahrung selber wird. Verdoppelte Distanzen, mehrfaches AuĂen. Sehr direkt alles. Ich vermute, dass es Natalie beim Schreiben ihrer Texte und Machen ihrer Videoplays genauso geht. Oder vor allem dann, wenn sie einen Satz findet, im Sprechen, im Hören und diesen immer wieder laut aufsagt bis sich Gehörtes und Gesprochenes, Gesagtes, Gemeintes ziemlich seltsam kontinuierlich weiter verschieben.
Sich selber beim Beobachten Beobachten können, dabei direkt erfahren wie die Beobachtung das Beobachtete Ă€ndert. Etwas produzieren um das Produzierte sofort wieder zu Konsumieren um das dann direkt wieder in die weitere, erneute Produktion einzuspeisen. Ewiger Wechsel von Bedeutungen. Der irre menschliche Vorgang allem fĂŒr immer Kontingenz andichten zu wollen. Und dem fasziniert hinterherschauen wie Schleifen von Rauch ĂŒber kĂŒnstlichen Wiesen. Ein Schweben ĂŒber den Bedeutungen. Die Erfahrung der Interpretation am eigenen Körper. âA form of shakiness / as well as stability.â
4)
Alle Strahlen laufen auf das Zentrum zu und sehr wahrscheinlich von dort auch wieder zurĂŒck again, in das was nicht Zentrum ist, ĂŒber was das Peripherie sein könnte, es aber nicht ist, so wie die ganze Symmetrie kein bisschen symmetrisch ist, weil die immer wieder gebrochen wird von noch dickeren Pinselstrichen auf der Leinwand um das gebrochene symmetrisch Abstrakte noch realistischer gebrochen abstrakt symmetrisch zu machen.
Ich mag wie auf den Bildern, den Malereien von mir aus alles, alle Form und Inhalt, am Beginn meiner Betrachtungen noch in die LĂŒcken der âmessyâ Formen schmilzt und ich spĂŒre wie sehr befriedigend es wohl sein muss, die dicken Striche Acrylfarbe auf die unter dem Druck der BerĂŒhrung wahrscheinlich leicht nachgebende Leinwand aufzutragen. In der Ausstellung wĂŒrde ich die Bilder heimlich berĂŒhren wollen. Nur mit ausgestrecktem Finger kurz. Striche ganz klar & breit, Formen ganz klar & schlicht, die alle an den RĂ€ndern verschwimmen, sich anlösen, auflösen, die zerflieĂen â noch mehr wenn dann Stella auftaucht, mal eben kurz im Titel und in bewusster Imperfektion nebenbei mitĂŒbermalt wird. Nicht nur geschichtlich gesehen denke ich. Illusion von Gradlinigkeit. Statt streng abgegrenzter geometrischer Formen und Körper, jetzt die MĂ€nnermalerphantasien aufgeweicht und transparent geworden und durchlĂ€ssig verflĂŒssigt fĂŒr die angrenzenden Farben und Linien. Gelb um die Mitten, GrĂŒn am einen Rand und beide Farben machen die Rosas insgesamt noch rosaner und im Zentrum ein helleres Blau. Meine Interpretationsmaschine gerĂ€t an ihre Grenzen. Loops und Erlösung. Happily Ever After. Ich erkenne transzendente Referenzen, vielleicht meiner aktuellen Umgebung geschuldet und mir höchst willkommen. Was sich also grade noch in Gleichgewichten auf und innerhalb der Leinwand bewegt hat, wird plötzlich, mehr noch zu Richtungen und diese Richtungen, genau wie deren Deutungen verlassen irgendwann die RĂ€nder der Malerei. Statische Formen nur mehr eine Illusion der eigenen Wahrnehmung. Ich weiĂ nicht ob es um Mystik, um innere Erfahrungen, Ekstasen geht. Caroline bewegt sich in Richtung eines Nicht-Sichtbaren, in Richtung eines Sowieso-Nicht-Darstellbaren und wir bewegen uns mit ĂŒber die RĂ€nder drĂŒber raus.
âDu bist Malerin und Instrument zugleich, die Grenzen zwischen dir und deinem Objekt verschwimmen, spiegeln, bekĂ€mpfen sich.â, sagt Amy Sillman und was sie hier auf die Abstrakte Malerei bezieht, kann schon auch fĂŒr die ganze Interpretationsarbeit gelten, wie ich finde. Wir treten ein in den âintimen und unangenehmen Prozess der VerĂ€nderung von Dingen, wĂ€hrend sie schiefgehen, unangenehm aussehen, wĂ€hrend man sich mit ihnen auseinandersetzen mussâ. Nicht mehr nur die Formen innerhalb des Rahmens, auch die Bilder, die Malereien, die Arbeiten selber werden entgrenzt und wir als Betrachter:innen gleich mit. Es geht um mehr als das was wir zu sehen bekommen, auch wenn wir genau das nicht exakt bestimmen können, immer.
âWho is Stressed Moreâ wirkt fĂŒr mich da nochmal sehr viel direkter als die Malereien. Hier wird sofort, klar, welches AuĂerhalb abseits des Bildes angerufen wird. Es geht, heute vielleicht mehr noch als um 1966 zur Zeit von Sontags Essay âĂber Interpretationâ, auch um die Bedingungen unter denen Kunst gemacht wird und gezeigt wird und nicht gezeigt wird â die Hierarchien und die vielfĂ€ltigen ZugangsbeschrĂ€nkungen und Ausschlusskriterien, die PayGaps und Burnouts und falschen Versprechen.
5)
Und genau das ist es, diese Direktheit, was den Tangerinen Traum wieder fĂŒr â was auch immer RealitĂ€t sein mag â öffnet. Immanente Transzendenz. Sich öffnen muss, meiner Ansicht nach. Das was der Interpretationsmaschine ihr eigenes In-sich und Aus-sich-selber, als zwar Notwendiges, aber auch als 1 Begrenztes aufzeigt â als nur eine Lesart unter vielen parallel existierenden Lesarten. Ich tanze mit AuĂerhalb. Auch die freundlich forcierte DurchlĂ€ssigkeit der eigenen Bubble durch die KĂŒnstler:innen, bedeutet das Ende von 1 Richtig. Ich weiĂ immer noch nicht genau was Tangerinen sind. Die Notwendigkeit sich selbst als Teil eines unendlichen BeziehungsgefĂŒges zu begreifen â als ewig beeinflusst und vor allem als unabgeschlossen. Ich ĂŒberall unscharf an den RĂ€ndern, sich auflösender Körper, werdender Körper. Unwissenheiten als Transparenzen. Eine nie stillstehende, alles immer vereinnahmende, ewig eingebende Interpretationsmaschine. Achterbahn der eigenen GefĂŒhle und des eigenen Wissens, wildes hin und weg, einsam teils, aber eben genauso umschlungen mitgerissen von allen und allem â ZĂ€rtliche Interpretation â also, Dancing Tangerine Tango.
Jan Erbelding, 2022
Jan Erbelding