âHaare, die fallen
âšsich flechten zu Korb
âšum meinen Körper
âšdie Ranken
âšverstecken mich in Stille
âšmit dir
âšVerschmelzen
âšschlĂ€ngelt sich die Faser
âšsie webt sich
âšsie wĂ€chst
âštot oder lebend âšim Innen, im AuĂen
âšEntitĂ€ten zerbrechen âšGrenzen verschwimmen âš
Atmen die Erde
aus der du bist. âšÂ âš
Lehre dich FragilitĂ€t âš
weil unsere Mondphasen sich âštreffen âš
wenn ich dich auf mich zufliegen âš
sehe.â âš
â Sophie RebentischÂ
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Dieses Fragment aus einem noch in der Entstehung befindlichen TheaterstĂŒck von Sophie Rebentisch empfĂ€ngt Besucher:innen in der RADAR-Ausstellung âCiao Edenâ. Damit schĂ€rft es den inhaltlichen Fokus und lĂ€utet gleichzeitig die zugrundeliegende Stimmung ein. Rebentisch interessiert sich in ihrer kĂŒnstlerischen Arbeit, die von Installationen ĂŒber Plastiken bis hin zu Texten reicht, fĂŒr GegensĂ€tzliches: Zerbrechlichkeit und StabilitĂ€t, weiblich und mĂ€nnlich konnotierte Stereotypen, Leben und Tod, Plastik und Lyrik, Natur und Architektur. Dieses Interesse schlĂ€gt sich in ihrer Materialwahl ebenso nieder wie in den Geschichten, die sie thematisiert. Die KĂŒnstlerin beschreibt âCiao Edenâ als den âVersuch einer Assemblageâ, einer Vermischung von Lyrik, Theater und plastischen Elementen. Es geht Rebentisch auf formaler Ebene um die Koexistenz von Gattungen in Form einer raumgreifenden Installation. Â
âšDie BeschĂ€ftigung mit lyrischen Texten und dem Theater im Besonderen prĂ€gt den Schaffensprozess der KĂŒnstlerin. Ihre TĂ€tigkeit in der Requisite der Wuppertaler BĂŒhnen markiert den Beginn ihrer Auseinandersetzung. Im Wesentlichen geht es um die Suche nach Möglichkeiten das Medium Plastik mit der Gattung Theater zu verbinden und bestehende Grenzen einzureiĂen. So entstehen die plastischen Arbeiten der KĂŒnstlerin stets durch sprachliche EinflĂŒsse und Textfragmente. BuchstĂ€blich, wie an der Ausstellungswand oder in der prozesshaften ZusammenfĂŒhrung der Gattungen in Form einer bĂŒhnenbildartigen Installation. Â
âšDie Narration, die Rebentisch hier in den Mittelpunkt rĂŒckt, ist eine altbekannte: Adam, Eva und Lilith. Die KĂŒnstlerin erzĂ€hlt sie jedoch aus einer queer-feministischen Perspektive, die Lilith als erste Frau* Adams und damit als erste Person*, die sich vom Patriarchat (in Form von Adam) löst, darstellt. Es existieren unzĂ€hlige historische und religiöse ErwĂ€hnungen wie auch Deutungen dieser Figur. In der Bibel wird sie namentlich nur ein einziges Mal in Jesaja, 34, 14 genannt. Einige Feminist:innen und Religionsforscher:innen vermuten, dass Lilith wegen ihrer Rolle als eine der wenigen starken Frauen*figuren getilgt wurde. Aus diesem Grund solle sie fortan als das Böse, die personifizierte VerfĂŒhrung und in manchen ErzĂ€hlungen gar als sĂ€uglingfressende DĂ€monin verunglimpft werden. Warum? Weil sie, von Gott wie Adam aus Erde und Staub ihm gleich erschaffen, sich weigerte Adams â durch patriarchale Dominanz bestimmte â Ăberlegenheit anzuerkennen. Stattdessen floh sie aus dem Paradies und wurde durch die Engel Gottes verfolgt. Auch sie vermochten es nicht Lilith zur RĂŒckkehr zu Adam und damit in die patriarchalen Strukturen zu bewegen, sodass sie schlieĂlich verbannt wurde. Unterdessen wurde Eva von Gott als zweite Frau aus Adams Rippe geformt: als hörige Partnerin, bereit sich dem Mann bedingungslos unterzuordnen. Â
âšSophie Rebentisch knĂŒpft mit âCiao Edenâ an dieser Stelle an und lĂ€sst Lilith, die Schlange, ins Paradies zurĂŒckkehren, wo sie Eva vom Geschehenen berichtet. Den Ereignissen gewahr, beschlieĂt Eva gemeinsam mit Lilith durchzubrennen. In der Folge verliert Adam seine patriarchale Macht, wĂ€hrend sich die beiden Frauen* in ihr Shelter zurĂŒckziehen. Indes verdorrt der Garten Eden, wohingegen das Shelter durch die TrĂ€ume, Taten und Geschichten von Lilith und Eva erblĂŒht. Am Ende verschwindet Adam durch das pure Vergessen seiner Existenz. Â
 âšElemente dieser weitergedachten Geschichte nehmen, Ă€hnlich einer Kulisse, Gestalt im Raum an. Deutliche ikonographische Hinweise bieten der Apfel im Eingangsbereich und die thronende Schlange an der Schmalwand. In diesem Zusammenhang ist auch der Torbogen am Treppenaufgang zu verstehen, markiert er doch die Schwelle zum Paradies, wĂ€hrend das Shelter einen Schutzraum verspricht. Â
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Filigran verwoben in den Torbogen findet sich vertrocknetes Laub, das von einer vergangenen Frische und Lebendigkeit zeugt. Naturalistische BlĂ€tter geformt aus Porzellan sĂ€umen die FensterbĂ€nke des Ausstellungsraumes. Wie ein Memento Mori erinnern sie an die vergangene Pracht des Paradieses, spiegeln zugleich das Leben als auch seine Endlichkeit wider. Durch den RĂŒckgriff auf gebranntes Porzellan erhalten letztere, trotz ihrer FragilitĂ€t eine neue BestĂ€ndigkeit. Einmal gebrannt behalten sie Form und Farbe, solange sie nicht durch physische Eingriffe zerstört werden. Radikale Zerbrechlichkeit. Die Mehrzahl von Sophie Rebentischs Arbeiten haben das Element der VergĂ€nglichkeit gemeinsam. Sie sind nicht zwangslĂ€ufig dazu gedacht dauerhaft zu bestehen, sondern laufen Gefahr sich aufzulösen oder auf dem Boden zu zerschellen. Gleichzeitig wirkt der Umgang mit dem Material wie ein Aufeinandertreffen binĂ€rer Genderstereotypen: mĂ€nnlich konnotierte StĂ€rke und BestĂ€ndigkeit trifft auf weibliche Sanftmut und FragilitĂ€t. Der Lehm des Shelter ist nicht penibel verputzt, die Enden des Drahtes am Tor bleiben scharfkantig, beschwert ist es durch Pflastersteine. WĂ€hrend sich die StĂ€rke im Umgang der KĂŒnstlerin mit Materialen niederschlĂ€gt, zeigt sich eine Sanftmut in deren FragilitĂ€t. Durch den Umstand, dass in Rebentischs ErzĂ€hlung die vermeintlich zarten, zerbrechlichen und schutzbedĂŒrftigen Frauen* fliehen und sich ein eigenes Leben aufbauen, vertauscht die KĂŒnstlerin ebenjene Klischees: Adam verliert seine Bedeutung und Eva und Lilith erlangen unabhĂ€ngige Daseinsberechtigung. Mit Blick auf (Gender-) IdentitĂ€ten wird weiterhin deutlich: Lilith selbst ist in den unterschiedlichen Versionen der ErzĂ€hlungen nicht auf ihr Dasein als Frau* begrenzt, sie ist zugleich Schlange, DĂ€monin, selbst der Ast eines Baumes. Sie reprĂ€sentiert die Neugierde wie auch das selbstbestimmte Denken und Handeln. Â
Sophie Rebentisch (*1996 in Köln) lebt und arbeitet in MĂŒnster und Wuppertal. Sie studiert an der Kunstakademie MĂŒnster in der Klasse von Suchan Kinoshita. Ausgestellt wurden ihre Werke u.a. in den Ausstellungen âRE-EXPLORE / RE-WRITE IIâ im Linden-Museum, Stuttgart; âHalloâ im Off Space im Keller, MĂŒnster und der âFörderpreis-ausstellung der Freunde der Kunstakademieâ in der Kunsthalle MĂŒnster, MĂŒnster. ZusĂ€tzlich agiert Rebentisch als Kuratorin fĂŒr das Kunst- und Kulturzentrum LOCH, Wuppertal und ist zustĂ€ndig fĂŒr die Kooperation mit dem Von der Heydt-Museum, Wuppertal. Dort ko-kuratierte sie zuletzt zusammen mit Renee Morales die Ausstellung âDO YOU TAKE UP ALL THE SPACE IN YOUR BODY?â.Â
RADAR ist eine Kooperation des LWL-Museums fĂŒr Kunst und Kultur und des WestfĂ€lischen Kunstvereins.
Jana Peplau