Antonia Nannt
PETITE MAISON (divorced from function)
Advertisement
âAt last, the Marquis challenged MĂ©lite to come to his little house, a petite maison. She answered that she would come, and that she would not fear him there, nor anywhere else. So they called it a wager and there she went, knowing not what a petite maison was, only the name.â *
Im selben Moment, in dem MĂ©rite das Foyer des Petite Maison - ein Lustschloss? - des Marquis de TrĂ©micour betritt, gerĂ€t sie in die Falle einer architektonischen VerfĂŒhrung. Geduldig prĂ€sentiert der Marquis dem Objekt seiner Begierde sein Anwesen und fĂŒhrt sie durch jeden einzelnen Raum des Hauses. Die Besucherin gerĂ€t dabei immer mehr aus der Fassung ĂŒber das detailliert beschriebene Interieur des Petite Maison. Als sie jedoch bemerkt, dass sie sich vor Begeisterung fĂŒr die exquisiten MöbelstĂŒcke und Kunstwerke zunehmend der VerfĂŒhrung des Marquis hinzugeben scheint, rettet sie sich in den Garten des Anwesens in der Hoffnung, den architektonischen Versuchungen zu widerstehen. Kaum betreten die beiden wieder das Innere des Hauses kapituliert MĂ©rite bald und Marquis de TrĂ©micour gewinnt seine Wette.
âI was very curious: it was no longer Madame T*** â that I desired, but her cabinet.â **
âLa Petite Maisonâ von Jean-François de Bastide ist als Hybrid zweier literarischer Genres des 18.
Jahrhunderts (erotic libertine novella und architectural treatise) eine architektonisch-erotische Ab-
handlung, die zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Architektur durch romantische Begegnungen diente. Mit der Imagination des Interieurs des Petite Maison als Pleasure House wird das Innere dabei zum Machtraum und die einzelnen MöbelstĂŒcke, Dekorationen und Kunstwerke TrĂ€ger einer bourgeoisen gesellschaftlichen Idee. Der gezielte Einsatz der Ikonografie des Interieurs ermĂ€chtigt den adeligen Junggesellen zur Aneignung der SphĂ€re des Weiblichen und das Petite Maison wird mitsamt der darin verfĂŒhrten Eroberung zur TrophĂ€e seines Besitzers. Mitte des 20. Jahrhunderts erschuf Playboy-GrĂŒnder Hugh Hefner das multimediale moderne Ăquivalent zum Petite Maison - die Playboy Mansion. In seiner erotischen Utopie des Playboy-Universums gelang Hefner die Konstruktion eines spezifisch mĂ€nnlichen hĂ€uslichen Inneren. Durch die ikonografische Ăberschreibung von MöbelstĂŒcken und RĂ€umen, die klassischerweise mit dem Vorstadthaus assoziiert wurden, verwandelte sich das HĂ€usliche zur Spielwiese des groĂstĂ€dtischen Junggesellen.
Auch Nannt bedient sich in ihren Skulpturen symbolgeladener, historischer Sujets, die oftmals architektonischen Ursprungs sind, und nutzt das scheinbar Dekorative als kontextualisiertes Motiv. Die Werkserie Table Skirts vereint als Symbolic Furniture innerhalb ihrer Form und MaterialitĂ€t beides: den dekorativen (RĂŒschen)Rock mit dem funktionalen (Stahl)Tisch. Die metallischen und teilweise von SchweiĂnĂ€hten gesĂ€umten Objekte Nannts deuten ebenfalls auf ein intersubjektives Interieur, das von Nostalgie, MachtverhĂ€ltnissen und Begierde geprĂ€gten Motiven symbolisiert wird. In ihrem PETITE MAISON verweisen somit ĂuĂerlichkeiten auf Innerlichkeiten und umgekehrt, manchmal folgt die Form dabei ihrer reinen Funktion, zeitweise gehen sie lieber getrennte Wege (divorced from function).
*La Petite Maison (The Little House), Jean-Francois de Bastide, 1879
**Point de lendemain (No Tomorrow), Dominique Vivant Denon, 1777
Esther Ahr